Werner Söllner: Kopfland. Passagen

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Werner Söllner: Kopfland. Passagen

Söllner-Kopfland.Passagen

OFFENER BRIEF

Ich höre, mein Freund, du seist ein andrer
geworden, ohne dich zu verändern, jenseits
der Grenze. Du seist also noch
immer der gleiche, und man erkenne
dich unter den Trümmern
nicht wieder.

Ich sehe, mein Freund, die Verhältnisse
haben sich verabschiedet von dir, aber
diese Geschichte ist einseitig, wie du
einmal gesagt hast. Früher. Als wir noch
nicht aufgehört hatten, uns zu verabschieden.

Ich spüre, mein Freund, deine Freunde
sind gezählt. Sicher, wer lange Zeit
nichts hört, hört zuletzt auf
das Echo. Grimassen aus Gräbern.

Ich schmecke, mein Freund, immer noch Dummheit
und Papier und Gewalt, und, mein
Freund, ich rieche Nachrichten, die riechen
nach nichts.

Aber ich weiß auch, mein Freund, daß ein Wort
manchmal stärker ist als der, der es
spricht. Zum Teufel also mit den Botschaften
meiner fünf Sinne, ich verlasse mich
auf den Geheimdienst des sechsten, mit dem
ich noch lesen kann. Was du
nicht sagst und warum und zu wem.

 

 

 

Klamottenland, Zwangland, Kopfland.
Scheißland, Vaterland, Muttersprache, liebes
Land,
verlorenes Land: Das Land
ist vertrieben, wir sind geblieben
.

Werner Söllner, der zum ersten Mal im Suhrkamp Verlag seine Gedichte vorstellt, stammt aus dem Banat, dem deutschsprachigen Teil Rumäniens. Seine Gedichte sind poetische Passagen, dichterische Bewegungen und kunstvoll zusammengesetzte Sprachgebilde, die zwischen erinnerter Herkunft und erhoffter Zukunft, zwischen Sprechen und Verstummen, sich bewegen. „Zweisprachig fast, mit gespaltnem / Bewußtsein, ratlos,/ aber gefaßt“ – schreibt Werner Söllner seine oft erzählerisch langen, immer konzentrierten und kunstvoll gefügten Kopfland. Passagen. Diese Gedichte, die in den Jahren 1976–88 entstanden sind, vereinen auf spielerische Weise gedankliche Schärfe mit einer reichen Bildhaftigkeit voller Anspielungen.

Suhrkamp Verlag, Klappentext, 1988

 

Meistens gemischte Gefühle

Werner Söllner, der 1988 den Friedrich-Hölderlin-Förderpreis erhielt, wurde 1951 in Horia/Rumänien geboren, im Banat, was eine literaturträchtige Situation zu sein scheint (vgl. N. Berwanger, R. Bossert, O. Pastior, H. Samson, R. Wagner, E. Wichner u.v.a.):

Zweisprachig fast, mit gespaltnem
Bewußtsein, ratlos,
aber gefaßt, wir sprachen
Brüche
und tranken, meistens gemischte
Gefühle…

Seit 1981 lebt Söllner in Frankfurt am Main. Rumänien ist ganz offensichtlich kein Land für Minderheiten, viele sind ausgewandert, viele verfolgt. Dieser Band sammelt Gedichte, die zwischen 1976 und 1988 entstanden (und nur teilweise schon publiziert) sind. Er teilt sie in drei größere Gruppen ein: Verkehrte Zeit / Halbschlaf / Durch dieses Land. Deutlich weist die Textform der großen elegischen An/Klage auf den frühen Enzensberger zurück, auch auf Volker Braun und Heinz Czechowski. Es ist eine Textform (neben wenigen lakonischen Gedichten stehend), die, nicht ohne Pathos, „aus, noch / einmal auseinanderredenden Stimmen, gemischten / Gefühlen“ ein bißchen Hoffnung zusammenspannen möchte:

Es ist so dunkel, daß die Menschen leuchten.

Nicht ohne Zuversicht schreibt Werner Söllner etwa sein Schneeballgedicht „gegen den unbeirrbar fallenden Schnee“. Zugleich sind seine langschwingenden (auch Rilke verpflichteten) traurigen Zeilen die widersinnige Ausstellung von zugemuteten Empfindungen, aus denen der Dichter sich kaum zu befreien vermag:

Aber wer liest schon gern, auf Dauer, Gedichte wie Kriegs
Erklärungen? Macht so was nicht mürrisch, statt natürlichen Sprechens
über eine ungezwungene Welt?

Groteske Bilder stellen die Inbesitznahme des lyrischen Ichs aus: „Ich esse gefrornen Zement“. Oder:

Lauter Leere im Kopf und lauter gelähmte
Empfindungen. Wem ist hier was gelungen? Angenommen
wir wären nicht so, wären wir anders?

Die zweite Abteilung enthält viele Reimgedichte, ohne daß die lyrische Landschaft dadurch heiterer würde. „Die Freunde tragen ihre dünne Haut verbissen / wie eine schwere Last. Die Fäden sind zerrissen.“ Schöne Liebes- und Naturgedichte arbeiten mit dem Konjunktiv (den schon Eichendorff aus Taktgefühl zur Verunsicherung einsetzte): „als wäre alles leicht“. So ist ein Vogel nicht (mehr) ein Bild für selbstbestimmte Freiheit:

ihn hebt das Leichte
auf, als wäre er ein Stein, getroffen
von einem größeren Stein.

In großen Texten bezieht sich Werner Söllner auf Celan und Hölderlin, auf Kleist, Villon, auch auf Brecht und Fried, während der dritte Teil sozusagen zum Enzensberger-Ton zurückkehrt:

Hören und sehen das ist vergangen in diesem Land
wo du bleibst wirst du nichts finden als Winterflächen…

Doch gehen Söllners Zeitgedichte entschieden über die bekannten Muster hinaus. Eines der bösesten: „Gerettet“, darin der Sieg und Triumph des Überlebens zweifelhaft gemacht wird: „In unsern Adern fließt Asche.“ Die Sprachgesten der Vergangenheit und der aufklärerischen Zeitlyrik taugen nicht mehr, heißt es in einem Gedicht für den „Kollegen“ Brecht:

die Wirklichkeit ist in den Abgrund gefallen und begegnet uns dort
als Wortgeflimmer aus einer anderen Zeit als man noch
anders liebte als auf dem Bildschirm und anders starb
als in der Zeitung.

So bekommt das Als-Ob der Liebesgedichte und der Gedichte, die von der Grenze handeln („auf der einen Seite die Liebe / auf der anderen Seite der Tod“) eine besondere, eine explorative Bedeutung: wie Dichten, wie Leben möglich sei. Es ist nicht nur ein Rest von Naturerfahrung, der versöhnlich stimmt: „Alles wächst / wieder, auch das Gras in der Seele.“ Auch das „Schweigen wie früher“ stellt sich dazu, die nicht nur trostlose Denkfigur der „Passagen“, ein fragmentarisches Dichten, das weiß:

Auch ich bin ein Laut.

Alexander von Bormann, die horen, Heft 153, 1. Quartal 1989

 

ICH REDE MIT WERNER,
Dem siebenbürgischen Dichter,
Wir reden
Über die Kindheit im Sozialismus.
Die Toten
Stehn auf
In unsren Gesprächen:
Fühmann und Batt,
Die uns sagten:
Lest wieder Lenin,
Der sich zusammenbog,
Woran er glaubte.
Die Wahrheit,
Die Schnecke,
Bereitete auch ihnen
Den Weg ins Jenseits.
Deutschland
Ist eine Republik,
Ihre geteilte Vergangenheit
Teilt unsere Leben
In zwei ungleichmäßige
Hälften.

Heinz Czechowski

 

 

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