William Butler Yeats: Ich hatte die Weisheit, die Liebe uns gibt

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von William Butler Yeats: Ich hatte die Weisheit, die Liebe uns gibt

Yeats/Heidenreich-Ich hatte die Weisheit, die Liebe uns gibt

ECHO

Zum Tode hin!

aaaaaaaaaaaaaaMann

aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaDas hieße: nicht
Erfüllen meine Geistespflicht,
Und wär umsonst. Wir sind nicht quitt
Durch Krankheit oder ein Stilett,
Das Größte, was der Mensch erreicht,
Ist doch, daß man sein Schuldbuch streicht,
Da er noch leiblich lebt im Sein,
Betäubt von Liebe oder Wein.
Im Wachen dankt man Gott, daß man
Den Leib hat, in der Dummheit Bann,
Doch mit dem Leib vergeht auch Schlaf,
so lange, bis der Geist sich rafft
Auf eine klare Ordnung zu
Und so nachdenkt, wie ich es tu,
Dann hält er mit der Seel Gericht,
Läßt alles gehn aus Geist und Sicht
Am Ende, wenn das Werk vollbracht,
Und sinkt zuletzt hin in die Nacht.

Übersetzt von Werner Vordtriede

 

 

 

Nachwort

Wenn von irischer Dichtung die Rede ist, kommt man sehr bald auf den Namen William Butler Yeats, und wo, umgekehrt; der Name laut wird, assoziiert sich sogleich der Begriff „Neogälentum“. Man mag diese Erscheinung als ein beharrlich von der Literaturgeschichte weitergegebenes Vorurteil bedauern und darauf verweisen, daß Yeats es sich die Hälfte seines literarischen Lebens hat angelegen sein lassen, den in jungen Jahren erstrebten und erworbenen Ruf als ihm nicht oder doch nicht· mehr zukommend von sich zu tun, da er über die Periode des „Keltischen Zwielichts“ längst hinausgewachsen sei; man mag auf die Verwurzelung seiner Gedichte auch in außeririschen Traditionen und Tendenzen verweisen, auch darauf, daß er stets bemüht war, sich gegenüber der stürmischen Entwicklung der Lyrik von Ezra Pound bis Wystan Hugh Auden offenzuhalten (T.S. Eliot spricht bewundernd von seiner Fähigkeit immer wieder angestrebter Selbsterneuerung) das Vorurteil bleibt unerschüttert. Vielleicht ist er ihm, ungeachtet ständiger Sichtung und Neubearbeitung seines frühen lyrischen Werkes, nicht energisch genug entgegengetreten, vielleicht hat er zu früh vor dem Schicksal resigniert, zeit seines Lebens Gefangener des eigenen frühen Ruhms zu sein. Denn so etwas wie Resignation klingt aus dem Vorwort zu einer Neuherausgabe seiner Frühen Gedichte und Erzählungen (Early Poems and Stories, 1925), wo er davon spricht, daß die Einfachheit seiner Gedichte, die vor seinem siebenundzwanzigsten Jahr entstanden seien, ihr Ziel nicht völlig verfehlt haben könnte, da diese Gedichte „noch immer die bekanntesten sind, die ich geschrieben habe“.
Sucht man nach objektiven Gründen für diese Erscheinung, so findet man sie in der gesellschaftlichen Konstellation in Irland um die Jahrhundertwende, als WiIIiam Butler Yeats, vierundzwanzigjährig, mit seinem ersten Gedichtband (Die Wanderungen Oisins, 1889) und der Herausgabe der Werke William Blakes (gemeinsam mit John O’Leary) die literarische Bühne betrat. Homerule, Selbstverwaltung, war die Parole, unter der sich seit der Jahrhundertmitte die Patrioten sammelten, entschlossen, den seit dem 12. Jahrhundert bestehenden Kolonialstatus des Landes aufzuheben, der Irland Perioden barbarischer und völkermörderischer Unterdrückung und Zeiten vom „Mutterland“ liberaler gehandhabter Verwaltung, jedenfalls immer Fremdbestimmung in politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht gebracht und zur Verelendung und Dezimierung der Bevölkerung durch Hungersnöte und Auswanderung geführt hatte. Das Bestreben, nationale Selbständigkeit zu erringen, war den verschiedenen politischen Gruppierungen gemein, von den Feniern, die durch einen Aufstand der englischen Herrschaft ein Ende setzen wollten und, als der Aufstand durch Verrat scheiterte, zu individuellem Terror übergingen, bis hin zur Landliga, der Bewegung für eine friedlich-parlamentarische Änderung des ausbeuterischen Pachtsystems und der Konstituierung eines Standes freier, nicht von materieller Not bedrohter Bauern.
Früh wurde auch verstanden, daß Besinnung auf kulturelle Traditionen des Volkes ein wichtiger Faktor zur Erringung nationaler Unabhängigkeit war, eine Besinnung auf Traditionen, die durch rigorose Maßnahmen der Engländer (Unterrichtsverbot für irische Kinder vor allem und der Versuch der Ausrottung der katholischen Religion als der einigenden Kraft im Land) weitgehend verschüttet worden waren. Seit Thomas Davis (1815-1845), der frühverstorbene Dichter und Agitator der Erneuerungsbewegung, der Nationalbewußtsein durch Kulturbewußtsein unterstützen und befördern wollte, die jungirische Bewegung ins Leben gerufen hatte, riß die Kette der Versuche, irische Vergangenheit – und zumal irische Literatur und Musik der Vergangenheit – wieder ins Bewußtsein zu heben, nicht ab. Um nur einige der wichtigsten Namen und Aktivitäten zu nennen: George Sigerson ließ 1860 den Band Dichtung und Dichter von Munster erscheinen; James Standish O’Grady verfaßte eine historische Darstellung der Früh- und „Helden“zeit des Landes, versuchte sich an der Nacherzählung altirischer Heldensagen und gab 1878 eine Sammlung „Frühe Bardendichtung“ heraus; Douglas Hyde schrieb eine Geschichte der irischen Literatur und veröffentlichte eine Sammlung von irischen Volksmärchen. Die „irische Renaissance“ fand ein lebhaftes Echo über John Bulls andere Insel (wie George Bernard Shaw seine irische Heimat in einem Dramentitel nannte) hinaus. Überall in Europa, selbst in England, und in weitaus stärkerem Maß in den Vereinigten Staaten, wo Millionen Iren Zuflucht gesucht hatten, stieß der Kampf der Iren auf Sympathie, und es wurde verwundert oder bewundernd registriert, welch reicher kultureller Schatz in der Vergangenheit des kleinen Volkes ruhte und wie energisch patriotische Literaten darangingen, ihn zu aktivieren. Friedrich Engels zum Beispiel lernte eigens Irisch, um sich in „das schöne Vermächtnis“, das die fahrenden Sänger „ihrem geknechteten und unbesiegten Volk hinterlassen“ hatten, vertiefen zu können.
In dieser Atmosphäre der Erneuerung und des Aufbruchs entfaltete sich das poetische Talent des William Butler Yeats, des Sohnes eines freisinnigen und künstlerisch interessierten Advokaten aus Sandymound bei Dublin. Von seinem dritten bis zu seinem fünfzehnten Jahr lebte der 1865 Geborene in England und verbrachte nur die Ferien bei seinem Großvater in Sligo. Nach dem Abbruch seiner Studien an der städtischen Kunstakademie zu Dublin und dem Entschluß, sich der Schriftstellerei zu widmen, entfaltete er in London, wohin er vorübergehend zurückgekehrt war, und später in Dublin Aktivitäten, die seinen Namen bekannt machten, auch über einen Kreis von Kennern hinaus. In London gehörte er zu den Mitbegründern des „Rhymers’ Club“ (1891), von dem er in einem Zeitungsartikel schrieb, daß zu bei den Seiten des Wegs, auf dem er sich fortbewege, nichts als „keltische Tradition“ und „keltische Leidenschaft“ zu finden sei, und der „Irish Literary Society“, die im folgenden Jahr auch in Dublin dank seiner Initiative zu wirken begann. In einem Aufsatz für eine amerikanische Zeitschrift stellte er 1892 die „Society“ als den Versuch vor, „die Literatur mit der großen Leidenschaft des Patriotismus zu vereinen und dadurch beide zu veredeln“. Weiter heißt es in diesem Essay: „Inmitten des Zusammenpralls der Parteien haben wir versucht, einen Patriotismus auf den Weg zu bringen, der über den Parteien steht, und inmitten des anbrandenden Dröhnens der Allgemeinen Wahlen haben wir versucht, die ewigen Prinzipien der Wahrheitsliebe und der Vaterlandsliebe, die zu den Menschen in der Einsamkeit und in der Stille der Nachtsprechen, zu verteidigen.“
Hier klingen für unsere Ohren eigenartige Töne auf, Töne, die so gar nicht in eine Zeit passen, in der das Land um grundlegende Rechte und ums Überleben kämpfte. In der Tat hat Yeats nie ein Hehl daraus gemacht, daß er ein Dichter gewesen und geblieben sei, der bei aller Sympathie und Leidenschaft für Irland, seine Vergangenheit und seine Zukunft, den Parteiungen und politischen Konstellationen fremd gegenübergestanden habe. Sein Ziel war und blieb, wenn auch später von den Übersteigerungen der jungen Jahre befreit und von der Desillusionierung durch das Leben weitgehend auf dichtungstheoretische Überlegungen beschränkt, mittels des aus der Kunst erwachsenden Symbols die Seelen zu läutern und eine Erkenntnis zu vermitteln, die die Schranken des Sinnlichen und mit dem Verstand Begreifbaren durchbricht. Hierin wie auch in seinem Hang zum Spiritistischen (er gehörte spiritistischen und theosophischen Zirkeln an und nahm an Séancen teil) war er ganz Sproß des zu Ende gehenden europäischen Symbolismus, jener Geisteshaltung, die Entfremdung individuell dadurch aufzuheben trachtete, daß sie sich, die politische Notwendigkeit des Tages ignorierend oder sie poetisch verklärend, der Harmonie der Geister und des Geistes verschrieb. Die Überzeugung, die er in dem 1901 erschienenen Aufsatz „Magie“ vortrug, daß nämlich die Grenzen unseres Verstandes und unserer Erinnerung fließend seien und daß „unsere Erinnerungen Teil einer großen Erinnerung sind, der Erinnerung der Natur selbst“, beeinflußte von Anfang an seine intensive Beschäftigung mit der Dichtung aus irischer Vergangenheit (1893 erschien seine Sammlung Das keltische Zwielicht), in deren heidnischer und christlich eingefärbter Symbolträchtigkeit er den reinen Quell des durch Poesie anschaulich gemachten und überhöhten Lebens entdeckt zu haben glaubte. Indes ist die extravagante Position des jungen Mannes in späteren Jahren von Yeats selber klarer, kritischer gesehen worden, so, wenn er 1933 halb belustigt, halb erschrocken über den einstigen Zustand – in einem Vorwort zu frühen, in dem Band Letters to the New Island (Briefe an die neue Insel) zusammengefaßten Aufsätzen schreibt: „Ich kannte Blake durch und durch, hatte viel Swedenborg gelesen und nur deshalb von den Studien Jakob Böhmes Abstand genommen, weil ich befürchtete, nichts mehr anderes unternehmen zu können … Meine Isolation von einfachen Männern und Frauen wurde zusätzlich durch einen Asketismus gefördert, der Geist und Körper zerstörte und der sich mit Bewunderung für körperliche Schönheit in einem Maß verbunden hatte, das diese sinnlos machte.“
Die „Bewunderung für körperliche Schönheit“ bezieht sich vor allem auf seine Jahre währende und unerfüllt gebliebene Leidenschaft für Maud Gonne, die Schauspielerin und auch im Ausland bekannte mitreißende Agitatorin für die irische Freiheit, die mit dem Dichter die Überzeugung teilte, daß sinnliches und übersinnliches Leben ineinanderwirkten, und die ihn auch vorübergehend zu verstärktem politischem Engagement zu bestimmen vermochte (wenn Yeats auch nicht aufhörte zu bedauern, daß diese schöne und außergewöhnliche Frau, die später einen aktiven irischen Freiheitskämpfer heiratete, ihr Talent und die Faszination ihrer Persönlichkeit an eine so profane Sache wie die Politik verschwendete). Ihre Gestalt ist es, die immer wieder unter mannigfachen Masken in seinen Gedichten auftritt, bis hin zu den letzten – als Heroentochter aus irischer Vorzeit, als Leda, als Helena als die Frau mit dem steinernen Herzen in dem großen Gedicht „Ein Mann jung und alt“; sie inspirierte ihn zu dem Drama „Gräfin Cathleen“, dem gleichnishaften Stück um die Frau, die ihre Seele dem Teufel verkauft, um ihre im Elend lebenden Landsleute zu retten; ihr Einfluß hat wesentlich dazu beigetragen, daß er sich dem Theater zuwandte, sowohl als Stückeschreiber, der sich bis zu seinem Tod immer wieder an neuen Formen des Dramas und an der Beförderung neuer theatralischer Ausdrucksmöglichkeiten versuchte, wie als Theaterleiter.
Eine zweite Frau beeinflußte Yeats in seinem Schaffen wesentlich, ohne ihn indes wie Maud Gonne auf Jahre aus dem seelischen Gleichgewicht zu bringen: Lady Augusta Gregory. Sie begegnete der Kunst des irischen Volkes mit solidem, kenntnisreichem Interesse, half Yeats mit geschärftem Sinn für sprachliche Möglichkeiten, die impressionistische und in kunstgewerbliche Phantastik schweifende Diktion der ersten Gedichtsammlungen und frühen Erzählungen zu überwinden. In einem Vorwort zu den Geschichten von Rot-Hanrahan aus dem Jahr 1925 schreibt Yeats: „Als sie (die Geschichten) erstmals erschienen, waren sie noch in der gekünstelten, überladenen Sprache abgefaßt, mit der so viele von uns in den neunziger Jahren tändelten, und deshalb waren sie mir zuwider geworden. Als ich daranging, die erste Geschichte nach einer in Sligo überlieferten Sage von einem ,wilden alten Mann in Lodenzeug‘ umzuarbeiten, der ein Kartenspiel in eine Hundemeute verwandeln konnte, bat ich Lady Gregory um Beistand. Wir arbeiteten gemeinsam an dieser und so dann an allen anderen Hanrahan-Geschichten, bis alle in das schlichte Englisch gebracht waren, das sie von ihren Landsleuten in Galway gelernt hatte, und die Denkart dem Volksleben näherkam. Wenn jetzt dem Stil dieser Erzählungen ein Wert innewohnt, dann ist es vor allem ihr zu verdanken.“
In die Zeit der engen Zusammenarbeit mit Lady Gregory (gemeinsam mit ihr und John Millington Synge wurde Yeats 1905 Direktor des Abbey Theatre in Dublin und bemühte sich, diese Bühne in den Rang eines irischen Nationaltheaters zu erheben) fiel die Wende in Yeats’ Schaffen. Für die 1908 erscheinende achtbändige Gesamtausgabe seiner Werke hatte er die frühen Gedichte und Stücke umgearbeitet, sie von dem Gekünstelten, der Überladenheit befreit, und in einem neuen Lyrikband – Verantwortungen (1914) – hat er die Abkehr von der Schwärmerei der jüngeren Jahre programmatisch ausgedrückt:

Ich machte ein Kleid für mein Lied,
Ganz mit Besatz
Aus altem Mythenschatz
Vom Hals bis zur Ferse bestickt.

Dieses Kleid hatte Yeats – nun fast fünfzigjährig – vor aller Welt abgelegt und stellte sich „nackt“, wie es im letzten Vers heißt, mutig dem Urteil seines Publikums.
Der „neue“ Yeats allerdings, aus dem „keltischen Zwielicht“ endgültig herausgetreten, war nicht so leicht oder überhaupt nicht mehr einzuordnen; er orientierte sich nicht mehr auf eine versunkene Welt mit Königen, Feen und Helden, deren Existenz er mit dem eigenen Lebensgefühl ausstattete, er wurde offener für die Lyrik seiner Gegenwart, für ihre Methoden und ihre Ziele. Gleichwohl schloß er sich keiner ihrer Schulen an, machte er sich niemandes Doktrin zu eigen. Mit Ezra Pound, dem Anreger und Propagandisten einer Lyrik, die Wert in einem Urschöpfungsprozeß ganz neu aus dem Wort, dem „richtigen Wort“, hervorgehen lassen sollte, war er über Jahre eng befreundet (Pound wurde vorübergehend sogar sein Sekretär), doch hat dieser in seinen Gedichten keine wesentlichen Spuren eingegraben; mit T.S. EIiot, den er mehr schätzte denn bewunderte und über den er gelegentlich recht boshafte Äußerungen machte, verband ihn nichts als ein gewisses EIitedenken, auf keinen Fall aber dessen These, daß der Dichter sich nicht selbst auszusagen, sondern die Dichtung als ein Mittel zu nehmen habe, der eigenen Persönlichkeit durch Objektivierung zu entkommen.
Yeats’ Gedichtsammlungen seit VerantwortungenDie wilden Schwäne von Coole (I919), Michael Robartes und der Tänzer (1921), Der Turm (1928), Die Wendeltreppe (1933), Ein voller Mond im März (1935) und die Gedichte der letzten Lebensjahre – nehmen sich seltsam „altmodisch“ aus, „unmodern“ gegenüber dem, was Europas und Amerikas Dichter zur selben Zeit an Eigenwilligkeit und Experiment einbrachten. Da findet man keinen willkürlichen Umgang mit der Syntax, keine zerrissenen oder der Prosa angenäherten Verse, kaum Eigenmächtigkeiten in der Wortwahl, keine vorsätzliche Hermetik, die den Leser von einem für ihn unerkennbaren Tatbestand ausschließt, und selbst wenn er in dem Aufsatz „Der Symbolismus in der Dichtung“ (1900) wünscht, daß ein Gedicht so viele Bedeutungen annehmen möchte, wie es Leser habe, so verzichtet er doch nie darauf, sein Publikum mit konkreten Situationen auszustatten. In der „Allgemeinen Einleitung zu meinem Werk“ (1937) hat er gegen Ende seines Lebens seine spezifische Art, sich dichterisch zu artikulieren, folgendermaßen zu definieren versucht: „Ich begann, sie (die eigene Sprache) zu schaffen, als ich vor mehr als zwanzig Jahren entdeckte, daß ich nicht, wie Wordsworth dachte, nach Worten suchen mußte, die im allgemeinen Sprachgebrauch waren, sondern nach einer kräftigen und leidenschaftlichen Syntax und einer völligen Übereinstimmung von Satzperiode und Strophe.“ Ergänzend dazu schrieb er in der im selben Jahr erschienenen „Einleitung zu meinen Stücken“: „Ich wollte, daß alle meine Dichtung auf der Bühne gesprochen oder gesungen werden sollte, und weil ich meinen eigenen Instinkt nicht begriff, führte ich ein halbes Dutzend falscher oder zweitrangiger Erklärungen dafür an; aber vor einem Monat verstand ich meine Gründe. Ich habe mein Leben damit zugebracht, aus der Dichtung jeden Satz zu tilgen, der fürs Auge geschrieben ist, und alles auf eine Syntax zu bringen, die allein für das Ohr bestimmt ist … ,Schreibe fürs Ohr‘, dachte ich, ,so daß man dich sofort versteht, als stünde ein Schauspieler oder ein Volkssänger vor dem Publikum.‘“
Zwar begegnet der Leser auch bei Yeats Assoziationen und Resultaten von Assoziationsketten, die er nicht ohne weiteres aufdecken kann und zu deren Deutung er auf sich selbst angewiesen ist, und Allusionen, die nur aus der genaueren Kenntnis biographischer oder allgemeinhistorischer Umstände aufgelöst werden können; doch stellt sich stets eine emotionelle Übereinkunft zwischen dem Leser und dem Gedicht her, von der Art, wie Yeats sie schon in dem Essay „Der Symbolismus in der Dichtung“ mit der blumigen Ausdrucksweise des Symbolismus beschrieben hat: „Alle Töne, alle Farben, alle Formen rufen, entweder durch vorbestimmte Energien oder durch eine lange Assoziationskette, unbestimmbare und doch genaue Gefühlsregungen hervor, oder – wie ich mir lieber vorstelle – sie flehen auf uns bestimmte körperlose Kräfte herab, deren Fußspuren auf unsren Herzen wir Gefühle nennen.“
Jedenfalls ist es unverkennbar immer Yeats, der uns aus den Gedichten anspricht, ein Yeats in mancherlei Masken zwar, aber immer in seiner Ganzheit und in seinem Anliegen zu erkennen. Er spricht seine Persönlichkeit aus und versucht nicht, eine ohnehin zweifelhafte lyrische Objektivität zu imaginieren. Das eigenwillige, schwer zu entschlüsselnde Bild zum Beispiel, das er vom Osteraufstand des Jahres 1916 im Gedicht entwirft, zeigt ihn in der Wirrnis, in die das entschlossene und zugleich hoffnungslose Unternehmen ihn gestürzt hat, es führt aber auch seine Trauer und seine Hoffnung vor. Im Turm stellt er, der 1916 einen Turm als Domizil erworben hatte, die Verbindung zwischen sich und seinen Geschichten und den Begebnissen her, die sich an das „absurde Ding“ knüpfen. Seine Resignation vor allem angesichts der Nachkriegsentwicklung in Irland prägt das Gedicht „Neunzehnhundertneunzehn“; und die beiden Byzanz-Gedichte lassen deutlich ihn erkennen, unterwegs zu seinem geistigen Refugium und dann in jenem Kunstbezirk einem anderen Orplid – existierend, der ihm transzendentale Heimat sein kann, in der das

Bild, das, auf Bild gebeugt,
Noch neue Bilder zeugt,

seine Herrschaft angetreten hat. Und vollends in den Gedichten der letzten Jahre porträtiert er sich eindrucksvoll und ohne Pose als alter Mann voll Zorn über die schwindenden Lebenskräfte, voller Sehnsucht nach Sinnlichkeit auch angesichts von nahem Tod und Krieg, aber auch als einer, der ein Vermächtnis zu hinterlassen hat:

Schafft das Werk mit Malen, Dichten,
Laßt nicht zu, daß Modernisten
Der Vorväter Künste fliehen…

Yeats und Irland – die Bedenklichkeit dieser Gleichsetzung, die zu Anfang angesprochen wurde, läßt sich vielleicht so ausräumen: Yeats ist ein irischer Dichter nicht im Sinn jener engen Keltomanie, die einen abstrakten Patriotismus mit einem nicht minder abstrakten Begriff von der Vergangenheit und ihrer Funktion für die Gegenwart verband, sondern dadurch, daß er in diesem Land und – noch mehr – auch für dieses Land lebte. Obgleich ein Mann, der seine Poesie von der Tagespolitik fernzuhalten trachtete, weil er fürchtete, sie könnte über dem Umgang mit manchmal Banalem und Borniertem Schaden nehmen, hat er sich doch seiner Heimat nicht entzogen, als man ihm nach Bürgerkrieg und Bildung des Freistaats 1922 das Amt eines Senators der Republik antrug, und er hat es sechs Jahre innegehabt und gut verwaltet. Vor allem legte er seine nach der Verleihung des Nobelpreises (1923) in der Welt gewachsene Autorität in die Waagschale, wenn es – wie im Fall der Durchsetzung der Ehescheidungsmöglichkeit, der Ablehnung der Zensur oder der Verbesserung des Bildungswesens – galt, der Rückständigkeit eines jahrhundertelang unterdrückten und über der Unterdrückung in manchem engherzig gewordenen Volkes entgegenzuwirken. Sein Herz schlug für Irland, für das Land, dessen Rückgrat er mit seinen Dichtungen seit seinen Anfängen stärken wollte, wie er es in einem Brief an die Schriftstellerin Dorothy Wellesley vom 23. Dezember I936 ausdrückte. Und sein Herz war gespalten: „Das ,Irentum‘“, heißt es in der „Allgemeinen Einleitung zu meinem Werk“ aus dem Jahr 1937, „hat sein ,Kapital‘ über Kriege hinweggerettet, die im 16. und 17. Jahrhundert den Charakter von Ausrottungskriegen angenommen hatten; kein Volk, schrieb Lecky in dem Vorwort zu seinem Buch Irland im 18. Jahrhundert, hat schlimmere Verfolgung erlitten, und diese Verfolgung hat bis heute nicht aufgehört. Kein Volk haßt wie wir, in denen die Vergangenheit stets lebendig ist. Es gibt Augenblicke, da der Haß mein Leben vergiftet, und ich klage mich dann selber der VerweichIichung an, weil ich ihm nicht adäquaten Ausdruck verliehen habe … Dann wieder erinnere ich mich daran, daß … ich meine Seele Shakespeare, Spenser und Blake verdanke, vielleicht auch Morris, und der englischen Sprache, in der ich denke, spreche und schreibe, und daß alles, was ich liebe, durch das Englische zu mir gekommen ist; mein Haß quält mich mit Liebe, meine Liebe mit Haß.“
Nach William Butler Yeats’ Tod am 28. Januar 1939 widmete Wystan Hugh Auden, der hervorragendste Vertreter der jungen englischen Lyrik in den dreißiger Jahren, ihm ein Gedicht, dessen zweiter Teil Verehrung und Kritik in einem ausdrückt:

Du warst albern wie wir; deine Gabe überdauerte alles:
Die Gemeinde reicher Frauen, körperlichen Verfall,
Dich selbst. Narr Irland quälte dich zur Dichtung.
Irlands Narrheit und Wetter bestehen weiter,
Denn Dichtung bewirkt nichts: sie überdauert
Im Tal ihrer Erzeugung, wo die Exekutive
Ihre Finger einzieht, fließt nach Süden weiter
Von Gehöften der Isolation und des emsigen Kummers,
Rauhen Dörfern, wo wir glauben und sterben; sie überdauert,
Eine Art Zufall, einen Mund.

Karl Heinz Berger, Nachwort, September 1980

Der irische Dichter,

Dramatiker und Essayist William Butler Yeats (1865–1939; Nobelpreis 1923) gab jener Bewegung die entscheidenden Impulse, die unter dem Namen „Irische Renaissance“ in die Literaturgeschichte eingegangen ist und an die heute die in englischer Sprache schreibenden Autoren Irlands anknüpfen. Auf der Suche nach Schönheit kam er mit den verschiedensten zeitgenössischen Strömungen und Ismen vom französischen Symbolismus bis zum Mystizismus in Berührung. Doch stellte er sich schließlich, nicht zuletzt unter dem Diktat seiner Erfahrungen als Senator, als Mitbegründer (1904) und Direktor des weltberühmten Abbey Theatre in Dublin, der „grauen Wahrheit“. Die vorliegende Auswahl will einen Eindruck von der Tragweite seines dichterischen Schaffens vermitteln, von der Leidenschaft und einprägsamen Bildersprache seiner Verse, sei es nun in volksliedhaft-entsagungsvollen, ganz in der Nachfolge der Romantik geschriebenen Balladen der Frühperiode oder in schwierigen, vergeistigten Altersgedichten. William Butler Yeats sang „von dem, was war, vergänglich ist und kommt“ und stellte sich, im Gegensatz zu T.S. Eliot, stets in den Mittelpunkt seiner Gedichte – als Leidende und Liebenden, als Enttäuschten und Hoffenden.

Verlag Volk und Welt, Begleitzettel, 1981

 

Der Dichter, seine Wandlungen und seine Masken

Von William Butler Yeats weiß man in Deutschland nur wenig; er ist bei uns kaum mehr als ein Name. Man hört gelegentlich von ihm; es hieß, daß W.H. Auden und Chester Kallman an Yeats, seine Person und sein Leben dachten, als sie das Libretto für H.W. Henzes Oper Elegie für junge Liebende schrieben, obwohl sie seinen Namen nicht genannt und die Handlung nach Österreich verlegt haben. Yeats’ frühes Drama The Countess Cathleen bildete die Vorlage für Werner Egks Irische Legende; im übrigen aber haben seine Werke das deutsche Publikum kaum erreicht, und kein Kritiker oder Literarhistoriker hat ihn einer ausführlichen Studie gewürdigt.
In der englischsprechenden Welt hingegen gilt er als einer der größten Dichter schlechthin. Er ist dort ein major poet: ein Dichter – um diesen spezifisch englischen Ausdruck mit englischer Einfachheit zu erklären −, an dem niemand vorbei kann, der Anspruch darauf erhebt, etwas von Literatur zu verstehen. Über die Qualität seiner Lyrik wird kaum noch diskutiert, doch wird sie vielfältig gedeutet; man erkennt seinen Dramen zumindest eine große Wirkung zu, weil Yeats als erster Dramatiker nach Shakespeare es vermochte, ein dichterisches Drama zu schaffen, das auch gespielt wird – während alle anderen englischen Dichter, die zwischen Shakespeare und Yeats Dramen in Versen schrieben, auf der Bühne nur einen kurzen, meist aber gar keinen Erfolg hatten. So sind Eliot und Fry ohne Yeats’ Vorgang und Vorbild nicht denkbar.
In seiner irischen Heimat genießt er eine legendäre Berühmtheit, er ist dort ein Heros, vergleichbar den alten irischen Sagenhelden, die er zu neuem Leben erweckt hat: zusammen mit ihnen vielleicht den irischen Staat. Er hat Geschichte gemacht wie Swift, der erste große Schriftsteller, der zum Sprecher Irlands wurde. Freilich lag Yeats oft mit seinen irischen Zeitgenossen im Streit, und sicher hat das moderne Irland nicht die Richtung eingeschlagen, die er wies; das Abbey Theatre in Dublin, das er gründete und leitete, war heftiger Kritik ausgesetzt; aber Yeats hat mit irischer Leidenschaftlichkeit für seine Ziele gekämpft, und er ist heute mit seinem Werk zu einem nationalen Monument geworden – einschließlich der Nachteile, die eine solche Institutionalisierung mit sich bringt. Goethe in Deutschland und Shakespeare in England haben ähnliche Schicksale erfahren.
William Butler Yeats wurde am 13. Juni 1865 in Dublin geboren, er starb am 28. Januar 1939 in der Nähe von Cap Martin in Südfrankreich. Sein Leben erstreckt sich vom Zeitalter der Königin Victoria, als Irland noch ein Teil Großbritanniens war, bis an die Schwelle unserer Gegenwart, die durch den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen bestimmt ist. Irland erhielt in einem langen und blutigen Freiheitskampf seine Selbständigkeit; als Yeats starb, war es ein eigener Staat mit eigener Verfassung. Allerdings war und ist es nicht völlig selbständig; wirtschaftlich hängt Irland von Großbritannien ab, und auch kulturell ist es zu einem Teil der englischen Welt geworden. In Irland spricht und schreibt man heute fast durchweg Englisch; die eigene Sprache, das keltische Gälisch, wird nur noch von einem kleinen Teil der Bevölkerung gesprochen. Zwar steht es theoretisch gleichberechtigt neben dem Englischen, und es gibt auch heute noch eine kleine gälische Literatur; die meisten irischen Schriftsteller aber schreiben Englisch. So auch Yeats; obwohl er sein Irentum immer betonte, war er doch ein englischer Dichter, der nur wenig Gälisch verstand, und er fügte sich, als er zu Ende des letzten Jahrhunderts zu schreiben begann, einer damals herrschenden literarischen Mode ein.
Man bezeichnete sie und bezeichnet sie auch heute noch manchmal mit dem Namen des Symbolismus, einem Namen, der keine genauen Vorstellungen, sondern eher die Vorstellung von etwas Vagem, Verschwommen-Geheimnisvollem, „Mystischem“ erweckt; in Deutschland spricht man auch von Neuromantik und denkt dabei etwa an die Werke des jungen Hofmannsthal. Was immer Symbolismus und Neuromantik an sich sein mögen, sicher ist, daß sie im Gegensatz zum Naturalismus standen und keine unmittelbare Widergabe der „wirklichen“ oder alltäglichen Welt erstrebten; die „Symbolisten“ suchten ihre Themen im Mythos oder in einer fernen und eben damit „romantischen“ Vergangenheit. Die Fronten gingen freilich durch das Werk einzelner Dichter hindurch; Gerhart Hauptmann, der zunächst als Naturalist bekanntgeworden war, schlüpfte bei Gelegenheit in romantische Tracht und schrieb die Versunkene Glocke; Ibsen verwendete in seinen Dramen Symbole und erfüllte Rosmersholm, wie Yeats nicht ohne Bosheit schreibt, mit dem Geruch verschütteter Poesie. Yeats hat den Naturalismus stets abgelehnt. In seinen Anfängen war er jedoch eher ein Spät- als ein Neuromantiker, er stand in der Nachfolge der viktorianischen Dichtung – die ihrerseits die englische Romantik fortsetzte – mit der Besonderheit, daß er seinen Dichtungen ein national-irisches Kolorit zu geben suchte und seine Themen dem irischen Mythos entnahm. Aber er hüllte die irische Sagenwelt in den gleichen „romantischen“ Schimmer ein, mit dem die Viktorianer das Mittelalter umgeben hatten, eine Nebelhülle, die nicht ganz zu Recht das „keltische“ Zwielicht heißt. Wie manche Romantiker, so bemühte auch er sich um den „Volkston“, aber er brachte dabei oft nur eine Pseudo-Volkstümlichkeit zustande, die zuweilen peinliche Erinnerungen an Löns und seine Heidelieder hervorruft, wie etwa in dem Gedicht The Fiddler of Dooney, das heute auf Postkarten gedruckt vorliegt und ausländischen Touristen einen Eindruck von irischem „Heimatgefühl“ geben soll. In der Yeats Inn zu Sligo hängt dieses Gedicht im Großformat an der Wand.
Der frühe, romantische Yeats ist rasch in Anthologien eingedrungen, und so mag es vorkommen, daß auch ein deutscher Schüler, der Englisch lernt und dabei eine Vorstellung von englischer Kultur erhalten soll, ein kleines Gedicht kennenlernt, das den Titel The Lake Isle of Innisfree trägt:

I will arise and go now, and go to Innisfree,
And a small cabin build there, of clay and wattles made:
Nine bean-rows will I have there, a hive for the honey-bee,
And live alone in the bee-loud glade.

Nun will ich mich erheben und gehen, nach Innisfree gehen,
Und dort will ich ein kleines Häuschen bauen, aus Lehm und Weidengeflecht:
Neun Reihen Bohnen will ich dort haben, einen Korb für die Honigbiene,
Und allein wohnen in der von Bienen lauten Lichtung.

Es gibt, wie bei dieser Gelegenheit erwähnt sei, tatsächlich eine kleine Insel mit Namen Innisfree; sie liegt im Lough Gill, im Westen Irlands, nahe bei der Stadt Sligo, wo Yeats seine Kindheit verbrachte, und gewiß hat diese Landschaft einen Zauber, der sich jedem mitteilt, der sie erblickt. Niemand, der Sligo und seine Berge, das Meer und den nur wenige Meilen landeinwärts gelegenen Lough Gill gesehen hat, wundert sich darüber, daß sich Yeats von London, wo er diese Verse schrieb, dahin zurück sehnte. Yeats hat den Westen Irlands immer geliebt; auf seinen Wunsch ist er in Drumcliffe, fünf Meilen von Sligo entfernt, am Fuß des sagenberühmten Ben Bulben begraben worden; aber es muß auch erwähnt werden, daß Yeats sein Gedicht „Innisfree“ im Alter haßte, wie er überhaupt seine frühen Werke zumeist verwarf. Man tut ihm kaum einen Gefallen, wenn man diese Verse, oder den Fiddler of Dooney, immer wieder zitiert: es ist genauso, wie wenn man von Rilke nur den „Panther“ kennt; auch von Rilke wissen wir, daß er seine jugendlichen Gedichte nicht mehr gelten ließ. Das braucht zwar niemanden zu hindern, sie trotzdem schön zu finden; aber man geht an Rilke und Yeats vorbei, wenn man nur ihre frühen Werke kennt.
Yeats hat seinen Stil bewußt verändert. Er selbst sagt darüber:

als ich The Wanderings of Oisin abgeschlossen hatte, empfand ich ein Unbehagen an diesem Gelb und stumpfen Grün, an all dieser von der Romantik ererbten überladenen Farbigkeit, und ich schuf meinen Stil absichtlich um, suchte absichtlich den Eindruck von kaltem Licht und treibenden Wolken zu erwecken. Ich verwarf die traditionellen Metaphern und lockerte meinen Rhythmus auf, und da mir klar wurde, daß alle mir bekannte Kritik des Lebens fremdartig und englisch ist, wurde ich so leidenschaftlich wie möglich, doch ich selbst verstand meine Leidenschaftlichkeit (emotion) als kalt.

Diese bewußt vollzogene Wandlung ging sehr allmählich vor sich, und man kann nicht eindeutig sagen, wo sich der neue Stil zum ersten Male zeigt; man ist sich aber einig darüber, daß allein der späte Yeats das sagte, was nur er sagen konnte. Zum großen Dichter, zum major poet, wurde Yeats im zweiten und dritten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts, mit seinen Byzantium-Gedichten und mit den dunklen, für ein kleines, aristokratisches Publikum bestimmten Plays for Dancers, die manches von dem vorwegnehmen, was die sonst von ihm so verschiedenen Dramatiker Brecht oder Wilder an Neuem gebracht (oder an Altem wiedergebracht) haben.
Der junge und der späte Yeats scheinen manchmal geradezu zwei verschiedene Dichter zu sein; seine Wandlung ist eines der erstaunlichsten Phänomene der Literaturgeschichte. So verschieden wie die Dichtung wirkt auch der Dichter selbst; während die Bilder des jungen Mannes ein vom Beschauer abgewandtes Gesicht zeigen, das in die dämmrige Ferne des „keltischen Zwielichts“ hineinträumt, ein Gesicht, das am Leben vorbeisieht und vorbeisehen will, geben die Bilder des Alternden und Alten den Eindruck einer faszinierenden Vitalität: als ob er bereit sei, den Betrachter anzusprechen, mit ihm zu diskutieren oder ihn mit einem rasch hingeworfenen Satz zu provozieren. Aber dem alten und dem jungen Dichter ist doch etwas gemeinsam: die dezidierte Ablehnung der „modernen“ Welt, und es wäre daher voreilig, den jungen Yeats als romantisch, den späten als „modern“ zu klassifizieren.
Das Wort „modern“ eignet sich ohnehin nicht recht dazu, als Charakteristikum eines Stils zu dienen, denn es bedeutet ja an sich nicht mehr als „zeitgenössisch“ und konnte daher auch früher einmal den Sinn von „alltäglich und abgedroschen“ annehmen. Im Laufe des vergangenen Jahrhunderts erfuhr das Wort eine Aufwertung: wer „modern“ ist, steht „auf der Höhe der Zeit“, und es gilt als ein Fehler, nicht „mit der Zeit zu gehen“; ganz deutlich steckt in dieser positiven Wertung ein Stück des Fortschrittsglaubens, der seinerseits zum Wesen der „Neuzeit“ gehört. Er begann sich im 17. Jahrhundert zu regen und erfüllte, wie kaum gesagt zu werden braucht, das 19. Jahrhundert, hat allerdings heute paradoxerweise das Stigma einer primitiven „Rückständigkeit“ erhalten: denn wer glaubt heute noch, nach zwei Weltkriegen, an den Fortschritt der Menschheit?
Für Yeats, der im optimistischen 19. Jahrhundert aufwuchs, war Modernität gleichbedeutend mit Whiggery:

A levelling, rancorous, rational sort of mind
That never looked out of the eye of a saint
Or out of drunkard’s eye.

Eine gleichmacherische, von Ressentiments erfüllte, rationalistische Geistesart,
Die niemals aus dem Auge eines Heiligen geblickt hat,
Oder dem eines Trinkers.

Der Heilige und der Trinker sind beide nicht „normal“, und Yeats liebte das „Unnormale“, das in der modernen Welt, so wie er sie verstand, keinen Platz hat; er liebte den Helden und den Herrscher, den Herrn, den Künstler, den Bauern und den Bettler: und er haßte den typischen Bürger, den paudeen, wie er in Irland heißt, der im Leben vorankommen will. Zwar wurde er sich mit zunehmendem Alter klar darüber, daß die moderne Welt dem obsiegte, was er schätzte, aber er blieb dabei, daß er und seine irischen Landsleute (mochten sie ihm glauben oder nicht) eigentlich einer älteren und vornehmeren Welt angehörten, und so schrieb er 1938 in The Statues:

We Irish, born into that ancient sect
But thrown upon this filthy modern tide
And by its formless spawning fury wrecked,
Climb to our proper dark…

Wir Iren, hineingeboren in jene alte Gemeinschaft,
Aber geworfen auf diese dreckige moderne Flut
Und ruiniert von ihrem formlos laichenden Rasen,
Steigen in das uns eigentümliche Dunkel…

Hier spricht er noch die Hoffnung aus, daß seine Stunde wiederkommen könnte: die Iren steigen in das Dunkel ihrer Seele hinein, um später, aus dem Formlosen hervortretend, sich selbst in neuer Form darzustellen. Manchmal beschreibt er sich auch nur als von einem wütenden Haß erfüllt:

Wenn ich in der Dämmerung auf der O’Conell Bridge stehe und all diese uneinheitliche Architektur sehe, all diese elektrischen Zeichen, in denen die moderne Heterogenität physische Gestalt angenommen hat, dann steigt ein vager Haß aus meinem eigenen Dunkel auf…

Die O’Conell Bridge führt über den Liffey, sie liegt im Zentrum von Dublin, das, besonders bei Nacht, wenn die Lichtreklamen aufleuchten, ganz wie eine moderne Großstadt wirkt und jeder modernen Großstadt gleicht – also – in Produkt jenes gleichmacherischen Geistes ist, den Yeats verabscheute: im Alter nicht mehr als in seiner Jugend, nur drückte er sich als junger Mann nicht so aggressiv und heftig aus.
Noch in seinem Alter bekannte er sich zu den Bestrebungen seiner romantischen Jugend: er hatte versucht, den Einbruch der modernen Welt in Irland zu verhüten, das Altüberlieferte zu bewahren und wiederherzustellen; er wollte, zusammen mit seinen Freunden, besonders mit Lady Augusta Gregory und John Millington Synge, Irland eine eigene Seele geben und aus dem heimatlichen Boden eine traditionsverbundene Kultur erstehen lassen, und so schrieb er von sich und seinen Mitstreitern:

We were the last romantics – chose for theme
Traditional sanctity and loveliness…

Wir waren die letzten Romantiker – wählten zum Thema
Traditionelle Heiligkeit und Lieblichkeit…

Mit seiner Ablehnung der modernen Welt steht Yeats nicht allein da; es genügt, den Namen Nietzsches zu nennen und sich an seine Verachtung der „modernen Ideen“ zu erinnern. Kurioserweise hat sich auch Baudelaire, dem man heute das Epitheton „modern“ wie einen Ehrentitel beilegt, ähnlich abfällig geäußert wie Yeats. Er leugnete den Fortschritt im Bereich des Geistes und der Kunst und nannte die Idee des Fortschritts überhaupt grotesk:

Diese groteske Idee, die auf dem fauligen Gelände der modernen Albernheit aufgeblüht ist…

Und er klagte über das Verschwinden des Dandy:

Aber ach! die steigende Flut der Demokratie, die überall eindringt und alles gleichmacht, ertränkt Tag für Tag diese letzten Repräsentanten des menschlichen Stolzes…

Yeats’ dreckige moderne Flut heißt hier die steigende Flut der Demokratie: Baudelaire, Nietzsche und Yeats huldigten einem geistigen Aristokratismus und waren eines Sinnes mit dem Grafen Keyserling, der das Ideal der Demokratie kulturfeindlich nannte; Yeats glaubte, daß sich soziale Gleichheit und geistige Freiheit nicht miteinander vertragen. Baudelaire trat in Kleidung und Gebaren als Dandy auf und betonte so auch im Äußeren seine vornehme Besonderheit; Yeats kleidete sich als junger Mann in eine romantische Gewandung, die ihn als Künstler ausweisen sollte und wahrlich auch auswies; in seinem Alter kultivierte er eine gewisse Eleganz, und es wird berichtet, daß er bei öffentlichen Vorträgen ein an einem schwarzen Seidenbande befestigtes Augenglas effektvoll zu schwingen verstand. Man hat ihm, was nicht ausbleiben konnte, Snobismus vorgeworfen; er bewunderte den Lebensstil der Big Houses, der großen irischen Landsitze, wie er ihn bei seiner Freundin und Gönnerin Lady Gregory auf Coole Park kennengelernt hatte, und er glaubte, daß die Kultur der Muße und des Reichtums bedarf.
Als sich Yeats stolz einen der letzten Romantiker nannte, in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts, erhielt das Wort „romantisch“ einen pejorativen Sinn. Die damals jungen Dichter wollten, unter Führung von W.H. Auden, „modern“ sein und lehnten alles sehnsüchtige Zurückblicken in die Vergangenheit ab. Sie erfüllten ihre Gedichte mit Bahnhöfen, Autobussen, Flugzeugen, zum Teil auch mit Propaganda für sozialistische Ideen. Sie lasen Freud und Marx, sympathisierten mit dem Kommunismus und glaubten demzufolge an den Fortschritt und an das Kommen der klassenlosen Gesellschaft. Yeats ärgerte sich über sie, obwohl er nicht umhinkonnte, ihr Talent anzuerkennen:

Einer von den Begabtesten (sc. dieser jungen Dichter) hat gerade erklärt, daß die Menschen bisher geschlafen haben und daß sie jetzt erwachen müssen. Sie (sc. diese Dichter) sind darauf aus, der Fabrik und der Hauptstadt poetischen Ausdruck zu verleihen, denn sie möchten modern sein.

In diesem Satz klingt eine Ironie darüber mit, daß jemand meinen kann, modern zu sein, wenn er Fabrik und Hauptstadt zum Thema seiner Dichtung macht – als ob die Modernität nur in der Wahl des Themas läge. Auch Yeats legte keinen Wert darauf, unmodern im Sinne von rückständig zu sein; in Sprache und Stil jedenfalls wollte er durchaus „auf der Höhe der Zeit“ stehen. Er schrieb von seiner Übersetzung des Ödipus auf Kolonos, daß er vorhabe, sie idiomatisch und modern zu machen.
Damit fallen zwei wichtige Stichworte. Auden und seine Freunde schrieben bewußt einen idiomatischen und modernen Stil, so wie sie es von T.S. Eliot gelernt hatten, d.h. sie gebrauchten nicht mehr die Formeln und Formen vergangener Epochen, wie, um ein ganz einfaches Beispiel zu nennen, die archaischen Formen thou, thee, thine, die noch in der Dichtung des 19. Jahrhunderts allgemein Verwendung fanden, obwohl sie längst aus der Umgangssprache verschwunden waren. Die jungen Dichter versuchten, die gesprochene Sprache ihrer eigenen Zeit zum Dichten zu verwenden, und darin jedenfalls waren sie eines Sinnes mit Yeats, der, wie wir uns erinnern, bewußt alle traditionellen Metaphern abgestreift hatte. In einem Brief bemerkt Yeats, seine Verse hätten ganz ohne sein Zutun (also ohne seine Absicht, was zu dem oben zitierten Satz in Widerspruch steht), einen umgangssprachlichen Ton angenommen, und in einem anderen Brief bemerkt er, die englischen Dichter der Gegenwart, einschließlich seiner selbst, befänden sich in einer heftigen Abwehr gegen alle alten Konventionen.
Yeats stand also der Auden-Schule, die bald den Namen The Moderns erhielt, nicht so fern, wie es scheint und wie er selbst betonte. Es wäre auch durchaus falsch, ihn so romantisch zu sehen, wie er sich selbst manchmal hinstellt; er verehrte das Alte nicht unbedingt, nicht einmal den geliebten Stil der Big Houses. In einem Gedicht beginnt er mit der Überlegung, daß das Leben in einem solchen Hause reicher, mächtiger und lebendiger sein müsse als anderswo, aber er unterbricht seine Reflexion mit einem Nichts als Träume! (Mere dreams, mere dreams!) Und wenn er sich als den Sänger traditioneller Heiligkeit und Lieblichkeit vorstellt, dann charakterisiert er seine eigene Dichtung höchst unzutreffend. Er nimmt, und darauf scheint es ihm hauptsächlich anzukommen, Stellung gegen modische Ideale, gegen eine Zeit, die, von Marxismus und Psychoanalyse bestimmt, mit den alten Idealen nichts anfangen kann; er nennt sich einen Romantiker, weil die Romantik gerade nicht en vogue ist. Er meint es als Tadel, wenn er von Shaw sagt, daß er keinen echten Streit mit seiner Zeit gehabt habe: daß also Shaw mit all seinen Reformideen gut ins zwanzigste Jahrhundert passe.
Welche Ideen aber stellte Yeats seiner Zeit entgegen? In seiner Jugend, als er Irland im eigentlichen Sinne des Wortes re-formieren wollte, war er gläubig, wenigstens bemühte er sich um einen Glauben. Die einfache protestantische Religion seiner Kindheit freilich ging ihm rasch verloren; die neuzeitliche Naturwissenschaft, deren Vertreter er haßte, hatte sie ihm genommen. Er dachte daran, eine eigene Religion zu erfinden, eine nahezu unfehlbare Kirche der poetischen Tradition; er plante einen Orden keltischer Mysterien und ließ sich in eine Geheimgesellschaft einweihen; er besuchte spiritistische Sitzungen, machte magische Experimente und schloß sich den Theosophen an. Aber er blieb skeptisch. Als er zum ersten Male bei der Gründerin der theosophischen Gesellschaft, der legenden-umsponnenen und als Scharlatan verschrieenen Mme. Blavatsky, vorsprach, mußte er in einem Zimmer warten, in dem sich eine Kuckucksuhr befand. Sie war stehen geblieben, und die Gewichte lagen auf dem Boden, sie konnte also nicht funktionieren; plötzlich aber kam der Kuckuck heraus und ließ seinen Ruf erklingen. Jeder andere Adept geheimnisvoller Lehren wäre über diesen Beweis übernatürlicher Kraft entzückt gewesen, Yeats aber untersuchte die Uhr, ob vielleicht ein geheimer Mechanismus in ihr verborgen sei. Er war freilich auch bereit, an das Wirken eines Geistes zu glauben; Mme. Blavatsky erklärte ihm, daß der Kuckuck die Gewohnheit habe, Besucher durch seinen Ruf zu überraschen.
Mit seiner wachen Skepsis machte sich Yeats bei den Theosophen so unbeliebt, daß er ausgeschlossen wurde. Er wollte experimentieren und nicht einfach glauben: bis zu einem gewissen Grade besaß also auch er den sonst verhaßten wissenschaftlichen Geist. Trotzdem gab er es nicht auf, an der Ausbildung eines eigenen Glaubens zu arbeiten, und er baute sich, mit Hilfe seiner mediumistisch begabten Frau und der Boten aus dem Geisterreich, die durch sie sprachen, eine eigene Lehre auf, die er in dem Buch A Vision niederlegte und sein System nannte. Allein im Vorwort dazu erklärte er, daß er nicht buchstäblich an seine Lehre zu glauben vermöchte: er habe geglaubt, solange die Offenbarungen ihm zuströmten, dann aber habe sich seine Vernunft bald erholt (my reason has soon recovered), und nun betrachte er seine Philosophie als eine Art von abstraktem Kunstwerk.
Das ist so, als hätte sich Yeats ein Haus gebaut in der Absicht, es zu bewohnen: kaum aber ist das Haus fertig, tritt er zur Türe heraus, schließt sie ab und verkündet, daß er dieses Haus nicht als Wohnung verwenden könnte, daß es ihm aber eine ästhetische Freude bereite. Aber es ist wiederum nicht ganz so, denn auch in Briefen und Gesprächen vertrat Yeats zuweilen die Theorien der Vision. Der Kritiker, der gern wissen möchte, was Yeats eigentlich geglaubt habe, gerät in Verlegenheit. Es scheint möglich, dem jungen Dichter so etwas wie eine Weltanschauung zuzuschreiben; es sieht aber so aus, als hätte der alte Yeats mit Gedanken nur experimentiert, vielleicht auch nur gespielt und somit im Grunde an gar nichts geglaubt.
Yeats gibt diesem Verdacht Nahrung durch seine Theorie der Maske, die er etwa gleichzeitig mit der Ausbildung seines Spätstils entwickelte. Sie ist als Theorie einfach und nicht einmal besonders neu: sie besagt, daß der Künstler nicht sich selbst, sondern sein Anti-Selbst darstellt. Wenn man aber die in dieser Theorie liegenden Möglichkeiten zu Ende denkt, dann kann sie auch besagen, daß der Künstler nicht nur etwas darstellt, was er selbst eigentlich nicht ist, sondern auch, daß er etwas vorstellt, oder daß er sich verstellt und dem Betrachter nur etwas „vormacht“. Der Künstler wird so zu einem Artisten, der eine Reihe von künstlerischen Gestaltungen erschafft, die aber nicht sein Ich ausdrücken, sondern es verbergen.
Yeats sagt über sein Selbst und sein Anti-Selbst:

Ich weiß sehr wenig über mich selbst und noch viel weniger über jenes Anti-Selbst: wahrscheinlich weiß die Frau, die mir Essen kocht, oder die Frau, die mein Arbeitszimmer ausfegt, mehr davon. Die Natur hat mich gesellig veranlagt, ich gehe hier und da aus und ein und möchte mich unterhalten, bin immer bereit, aus Furcht oder Gefälligkeit meine innersten Überzeugungen zu verleugnen: und vielleicht kommt es daher, daß ich alles Stolze und Einsame liebe.

Mit dem Stolzen und Einsamen spielt Yeats auf den irischen Sagenhelden Cuchulain an, den er zu seiner Maske erwählte und zum Helden vieler Gedichte und Dramen machte. Cuchulain ist einsam, stolz und gewalttätig, er handelt, ohne nachzudenken, er kämpft aus reiner Freude am Kämpfen: nicht um einer Sache willen, ihn bewegt kein Ideal, und er sucht keinen Sinn, es geht ihm nicht um Ziele und noch viel weniger um „Werte“, sondern, ohne daß er es weiß, um die große heroische Geste, die sich selbst schon genügt. Cuchulain und die mit ihm verbundenen Gestalten: seine Frau Emer, die er liebte und trotzdem betrog, seine Geliebte Eithne Inguba, die Kriegerkönigin Aoife, mit der er einen Sohn zeugte, den er unwissentlich im Zweikampf erschlug – diese Gestalten sind die einzigen des irischen Mythos, die man heute in Irland wieder kennt. Cuchulain wurde im Kampf gegen eine überwältigende Übermacht tödlich verwundet; er ließ sich an einen Felsen festbinden, um stehend zu sterben. So zeigt ihn eine Statue im Hauptpostamt in Dublin: dort hielten sich am 2. Ostertag des Jahres 1916 die irischen Rebellen gegen die zahlenmäßig weit stärkeren englischen Truppen, und einer ihrer Führer, Patrick Pearse, hatte sich Cuchulain zum Vorbild gewählt.
Yeats beschreibt sich selbst als einen, der bereit ist, seine innersten Überzeugungen zu verleugnen. Als aber 1907 bei der ersten Aufführung von Synges The Playboy of the Western World ein Riesenkrach enstand, weil das Publikum sich schockiert fühlte – ein Krach, der, von irischem Temperament inspiriert, vor der Gewalt nicht zurückscheute −, da lud Yeats das wütende Volk zu einer öffentlichen Diskussion im Theater ein. Er stellte sich in tadellosem Abendanzug auf die Bühne und verteidigte das Drama, indem er seine Kunsttheorien erläuterte, aber er verstand es auch, seine wütenden Opponenten wie eine Meute von Dorfkötern anzufahren, und eine Augenzeugin sagt von ihm, daß sie niemals ein menschliches Wesen so kämpfen sah wie Yeats an diesem Abend. Aber einer seiner näheren Bekannten, der irische Schriftsteller Frank O’Connor, sagt, Yeats’ Grundeigenschaft sei eine infernalische Schüchternheit gewesen. Er brachte es nicht über sich, allein ein pub, ein Bierlokal, zu betreten.
Nun schließen sich zwar eine infernalische Schüchternheit und der cuchulainhafte Mut, einer enragierten Volksmasse entgegenzutreten, nicht ohne weiteres aus; aber es läßt sich schwer sagen, welcher von diesen Aspekten des Dichters sein eigentliches Wesen zeigt. Alle, die ihn kannten, bezeugen, daß er immer eine Rolle spielte, gleichsam eine Maske trug; man kann davon mancherlei Geschichten und Anekdoten hören, wenn man die Stätten aufsucht, wo er seine Spur hinterlassen hat. Besonders aufschlußreich erscheint der Bericht, den Stephen Spender in seiner Autobiographie World Within World gibt. Er wurde dem damals siebzigjährigen Dichter im Hause der Lady Ottoline Morrell vorgestellt. Diese Dame der hohen englischen Gesellschaft gibt selbst den rechten Auftakt und Hintergrund für das Auftreten des exzentrischen Poeten.
Sie wohnte damals, wie Spender erzählt, auf der Gower Street im Zentrum von London und versammelte alle Dichter, Schriftsteller und Künstler, deren sie habhaft werden konnte, in ihrem Salon. Sie kannte jeden, der in der Welt des Geistes einen Namen hatte, und sie protegierte manchen, der darin einen Namen zu bekommen versprach. Spender war als Sozialist bekannt (er gehörte zur Gruppe um Auden), doch trug Lady Ottoline kein Bedenken, ihn einzuladen; sie selbst bekannte sich zu sozialistischen Neigungen, sie war bereit, zu den Arbeitern freundlich zu sein, ja sogar, sie zu lieben; nur hatten die Arbeiter die Angewohnheit, auf sie zu starren, wenn sie ausging. Das war nicht ganz verwunderlich; sie pflegte beim Gang durch die Straßen Londons einen gekrümmten Schäferstab mit sich zu führen, an den sie zwei oder drei Pekineserhündchen anknüpfte. In dieser Aufmachung, der ihr Gewand und ihr Schmuck entsprachen, bestieg sie gern die Straßenbahn, deren leise schaukelnde Bewegung sie genoß, weil sie dadurch an Königin Elisabeth 1. erinnert wurde, die sich in einer Barke auf der Themse rudern ließ. Auch in der Straßenbahn kam es vor, daß man sie anstarrte, und manchmal fielen boshafte Bemerkungen. So hatte Lady Ottoline Mühe, ihrer sozialistischen Gesinnung nachzugeben.
Bei einer Teegesellschaft in ihrem Hause wurde nun der junge Dichter dem betagten Patriarchen vorgestellt. Spender machte zunächst keinen guten Eindruck, weswegen die Herrin des Hauses Virginia Woolf herbeorderte, um den Nachmittag zu retten; sie erschien auch pflichtschuldigst, und Yeats erläuterte ihr bald den Sinn ihres neusten Romans The Waves. Dann aber wandte er sich freundlich dem jungen Dichter zu, dessen sozialistische Überzeugung ihm bekannt war, und rettete ihm die Zukunft. Er sagte, wie Spender sich einigermaßen zu erinnern glaubt:

Wir treten jetzt in das Zeitalter der Politik ein, das von Erwägungen politischer Notwendigkeit bestimmt ist, so wie sie Ihrem Menschenschlag eigentümlich sind. Das wird schon schlimm, aber es kommt noch schlimmer. Dann nämlich folgt das von den Psychologen beherrschte Zeitalter, das darauf basieren wird, daß jeder Mensch alle seine Motive in jeder Phase seines Lebens vollkommen versteht. Danach aber wird das schlimmste aller Zeitalter kommen, dasjenige unserer Leute, der Spiritisten. Dann werden alle Grenzen, welche die Lebenden von den Toten und die Toten von den Lebenden abtrennen, völlig aufgehoben sein, und die Welt der Lebenden wird in ungehindertem Verkehr mit der der Toten stehen.

Diese Vorhersagen machte Yeats, wie Spender sagt, in einem Tone, der halb-humoristisch und halb-prophetisch war. Niemand weiß, ob er sie ernst nahm oder wie sehr ernst er sie nahm; seine hier entwickelte Zukunftsdeutung hat auch nicht das mindeste mit der Vision zu tun, in der Yeats u.a. eine Philosophie der Geschichte entwickelte und auch Voraussagen über das Kommende machte. Yeats sah sich selbst, nach Spender, „in einem komischen wie in einem vornehmen Licht… er war sich einer Pose, einer Maske bewußt, die er notwendigerweise annehmen mußte, wenn er mit anderen Leuten zusammen war.“
Hinter all diesen Posen und Masken, hinter dieser Ironie und Selbstironie verbirgt sich eine eigentümliche Skepsis gegenüber dem als Wahrheitsaussage formulierten Wort, die sehr scharf von dem idealistischen Sozialismus des damals jungen Dichters absticht, die aber überhaupt jede Art von Überzeugung in Frage stellt.
Yeats war von 1922 bis 1928 Senator des Irischen Freistaats, und er konnte als solcher nicht umhin, Überzeugungen zu haben und sie auch zu vertreten. Dabei mußte er zwangsläufig gewisse Prinzipien als gültig voraussetzen oder, wie er selbst sagt, annehmen (assume); aber diese Annahme involvierte nicht seinen Glauben an die Prinzipien:

Ich habe im irischen Senat über die katholische Ablehnung der Ehescheidung gesprochen und dabei angenommen, daß alle Liebenden, die sich nicht um Priester oder Standesbeamten kümmern, unmoralisch sind; ich habe über Erziehung gesprochen und dabei angenommen, daß jeder, der keine Zeitung lesen kann, ein armes und benachteiligtes Geschöpf ist; und wäre ich als Sprecher einer Religionsgemeinschaft delegiert gewesen, dann hätte ich annehmen müssen, daß ein Kind, das von einer anderen Religionsgemeinschaft eingefangen wird, seine Seele verliert; und wenn sich mein Land im Kriegszustand befunden hätte aber wer dient solchen abstrakten Ideen nicht? Ohne sie wäre das Leben in der Gemeinschaft (corporate life) unmöglich. Sie sind ebenso dienlich wie jene blattgestaltigen Zinnformen, die dem Apfelkuchen ihr Ornament aufprägen, und wir schenken ihnen Glauben, unsere Dienste und unsere Ergebenheit. Wie können wir denn an die Wahrheit glauben, die immer wie ein Nachtfalter vor uns herflattert und doch erschrecken kann?

Wie Yeats’ Theorie der Maske, so lassen sich auch diese Sätze zunächst sehr einfach auslegen, sie enthalten jedoch, wenn man sie auf die in ihnen angelegten Denkmöglichkeiten hin prüft, eine für Yeats sehr charakteristische Deutung des Verhältnisses von Wahrheit und Wahrheitsaussage zum menschlichen Leben. Oberflächlich betrachtet besagen sie, daß jeder, der in der Öffentlichkeit des Staates auftritt, um eine Meinung durchzusetzen, dabei Voraussetzungen macht, die er für gewöhnlich nicht anerkennt, daß er etwas für den Augenblick annimmt. So nahm Yeats im Senat an, ein Analphabet sei ein benachteiligtes und unglückliches Wesen; für gewöhnlich aber glaubte er, daß die allgemeine Schulpflicht zu den schlimmsten Verbrechen der letzten zweihundert Jahre gehöre. Aber man muß derartige Voraussetzungen machen, weil sonst keine Verständigung, kein Leben in der Gemeinschaft möglich wäre. Man muß sich auf irgendwelche Prinzipien einigen; Yeats vergleicht sie mit den Zinnformen, die dem Apfelkuchen, eigentlich dem apple-pie, ihre Ornamente aufdrücken. Eine Gemeinschaft lebt dadurch, daß sie sich mit Hilfe von abstrakten Prinzipien, d.h. Gesetzen, Moralgrundsätzen etc. eine Form gibt, wobei man sich allerseits stillschweigend darauf einigt, daß diese Grundsätze nichts mit der Wahrheit zu tun haben.
Hier nun nehmen Yeats’ Gedanken eine gefährliche Wendung. Er vergleicht die Wahrheit mit einem Nachtfalter, der vor uns herflattert, uns beunruhigt und sogar erschrecken kann. Die Wahrheit läßt sich nicht „fassen“, und deswegen kann man auch nicht an die Wahrheit glauben, weil man nur das glaubt, was man faßt oder begreift. Man stellt Sätze oder Gesetze auf, die den Anspruch erheben, wahr zu sein; wir müssen aber erkennen, daß ein Satz eben dadurch, daß er zu einer Form fixiert wird, nicht mehr wahr ist. Da wir jedoch nur leben können, wenn wir daran glauben, daß die Sätze und Grundsätze, nach denen wir unser Leben einrichten, wahr sind, gerät der Lebendige in einen unvermeidlichen Gegensatz zur Wahrheit. Der Lebende kann nur leben, wenn er nicht weiß, wenn er blind ist: A living man is blind, Wissen und Leben sind unvereinbar, nur die Toten besitzen Wissen:

… wisdom is the property of the dead,
And something incompatible with life…

Yeats sagt damit nicht, daß es keine Wahrheit gibt; er sagt nur, daß unser Begreifen daneben greift, oder daß es etwas zurechtmacht, was so aussieht, als ob es wahr sei. In gewissem Sinne begreift er jedoch das Wesen der Wahrheit auch damit, daß er sie unbegreiflich nennt, er sagt sogar etwas über das Wesen der Wahrheit aus und gibt ihr damit eine Form. Diese Form – „Die Wahrheit ist ein Nachtfalter etc.“ – ist ein Bild, das für einen Augenblick das Wesen der Wahrheit veranschaulicht, das Bild wird damit zu einem Symbol dessen, was als es selbst unaussagbar ist. Das symbolische Bild nun wiederum kann man mit einer Maske vergleichen, durch die hindurch sich die Wahrheit uns zeigt; wenn wir die Maske wegnehmen, dann bleibt für uns nichts mehr da: allein die Toten wissen, was hinter ihr ist.
Daraus ergibt sich, daß das Reden in Bildern und Symbolen die Möglichkeit einer andeutenden Erkenntnis hat; der Dichter, der in Symbolen spricht, bringt die Wahrheit für einen Augenblick zur Anschauung; aber die Sätze, die er formuliert, haben nicht den Charakter von allgemeingültigen Definitionen, wie sie die Wissenschaft aufzustellen versucht. Sie machen nur dem etwas klar, der sich mit auf den Standpunkt stellt, den der Dichter im Augenblick einnimmt. Daraus ergibt sich weiter, daß der Dichter seine Symbole variiert; alles, was er sagt, gibt nur Aspekte des Gemeinten, in der Aussage Intendierten; deswegen sagt er auf verschiedene Weise aus und kann dabei bis zum Selbstwiderspruch gehen. Der Dichter besitzt die Wahrheit nicht in Gestalt eines fertigen Systems, sondern sucht sie in immer neuen Formen zu beschwören.
In seinem letzten Brief, vierzehn Tage vor seinem Tode, schrieb Yeats:

Ich glaube, ich habe gefunden, was ich brauche. Wenn ich alles in einem Satz zusammenfassen will, dann sage ich: „Der Mensch kann die Wahrheit verkörpern, aber er kann sie nicht wissen.“ („Man can embody truth but he cannot know it.“) Ich muß sie in der Vollendung meines Lebens verkörpern.

Es scheint, daß wir damit zu einem Punkt gekommen sind, von wo aus wir einen Zugang zu Yeats und seiner Dichtung gewinnen. Und es scheint auch, daß wir ihn, unbekümmert darum, wie er sich selbst zuweilen äußerte, als einen Dichter unserer Zeit, als „modern“ verstehen dürfen. Denn wer glaubt heute noch, daß sich die Wahrheit in einem System allgemeingültiger Sätze darstellen läßt? Yeats’ Auffassung der Wahrheit gleicht der Nietzsches, der sein Aphorismenbuch Jenseits von Gut und Böse mit den Sätzen einleitete:

Vorausgesetzt, daß die Wahrheit ein Weib ist −, wie? ist der Verdacht nicht gegründet, daß die Philosophen, sofern sie Dogmatiker waren, sich schlecht auf Weiber verstanden? daß der schauerliche Ernst, die linkische Zudringlichkeit, mit der sie bisher auf die Wahrheit zuzugehen pflegten, ungeschickte und unschickliche Mittel waren, um gerade ein Frauenzimmer für sich einzunehmen? Gewiß ist, daß sie sich nicht hat einnehmen lassen: – und jede Art Dogmatik steht heute mit betrübter und mutloser Haltung da. Wenn sie überhaupt noch steht!

Nietzsche schlägt hier einen leichtfertigen und unbekümmerten Ton an, doch er litt manchmal darunter, daß er die Unerkennbarkeit der Wahrheit erkennen mußte: er begriff, daß sein Begreifen nur ein Zurechtmachen, ein Sich-etwas-Vormachen war, daß er nicht erkannte, sondern, wie jeder Mensch, Fiktionen erdichtete:

Der Wahrheit Freier? Du?…
Nein! Nur ein Dichter!
Ein Tier, ein listiges, raubendes, schleichendes,
Das lügen muß,
Das wissentlich, willentlich lügen muß:
Nach Beute lüstern,
Bunt verlarvt,
Sich selber Larve,
Sich selbst zur Beute −
Das – der Wahrheit Freier?
Nein! Nur Narr! Nur Dichter!

Yeats gewann aus der gleichen Erkenntnis die Kraft zum Dichtersein, den Mut, das Leben zu bejahen, um den sich Nietzsche mit verzweifelter Anstrengung bemühte.

Johann Kleinstück, aus Johann Kleinstück: W.B. Yeats oder Der Dichter in der modernen Welt, Leibnitz Verlag, 1963

 

 

Fakten und Vermutungen zum Herausgeber

 

Christoph Kuhn: Zu William Butler Yeats
DU, Heft 7, Juli 1963

Sean O’Casey: Bei W.B. Yeats
Sinn und Form, Heft 5–6, 1962

An Experiment in Living – The places of significance for W.B. Yeats

Zum 75. Todestag des Autors:

Armin Steigenberger: Your mother Eire is always young
signaturen-magazin.de

Zum 150. Geburtstag des Autors:

Elsemarie Maletzke: Die Sehnsucht des jungen W.
Die Zeit, 12.6.2015

Peter Münder: Dichter, Mystiker, Staatsmann
Neue Zürcher Zeitung, 11.6.2015

Robert Quitta: Irland: Ruhen zu Füßen des schlafenden Riesen
Die Presse, 28.8.2015

 

Zum 83. Todestag des Autors:

Jürgen Schneider: Er verschwand im tiefsten Winter
nd, 27.1.2022

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Porträtgalerie: Keystone-SDA
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William Butler Yeats liest The Lake Isle of Innisfree. Eine Erklärung der geometrischen Formen im Zusammenhang mit Yeats Denken findet man hier.

 

Robert Forster spielt am 2.3.2019 im Berliner Dodo Beach von William Butler Yeats „Crazy Jane on the Day of Judgement“.

 

Haggren Gravlund – „The Wild Swans At Coole“ von William Butler Yeats.

 

Shane MacGowan – „An Irish Airman Forsees His Death“ von William Butler Yeats.

 

The Waterboys – An Appointment with Mr Yeats, Glasgow Concert Hall 2011.

 

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