BILANZBALLADE IM DREISSIGSTEN JAHR
Nun bin ich dreißig Jahre alt
Und ohne Lebensunterhalt
Und hab an Lehrgeld schwer bezahlt
Und Federn viel gelassen
Frühzeitig hat man mich geehrt:
Nachttöpfe auf mir ausgeleert
Die Dornenkrone mir verehrt
Ich hab sie liegen lassen
aaaaaUnd doch: Die Hundeblume blüht
aaaaaAuch in der Regenpfütze
aaaaaNoch lachen wir
aaaaaNoch machen wir nur Witze
Warum hat mich mein Vater bloß
Mit diesem folgenschweren Stoß
Gepflanzt in meiner Mutter Schoß
– vielleicht, damit ich später
Der deutschen Bürokratensau
Balladen vor den Rüssel hau
Auf rosarote Pfoten hau
Die fetten Landesväter
aaaaaUnd doch: Die Hundeblume blüht
aaaaaAuch in der Regenpfütze
aaaaaNoch lachen wir
aaaaaNoch machen wir nur Witze
Ich hab mich also eingemischt
In Politik, das nützte nischt
Sie haben mich vom Tisch gewischt
Wie eine Mücke
Und als ich sie in’ Finger stach
Und mir dabei den Stachel brach
Zerrieben sie mich ganz gemach
In kleine Stücke
aaaaaUnd doch: Die Hundeblume blüht
aaaaaAuch in der Regenpfütze
aaaaaNoch lachen wir
aaaaaNoch machen wir nur Witze
Dies Deutschland ist ein Rattennest
Mein Freund, wenn du dich kaufen lässt
Egal, für Ostgeld oder West
Du wirst gefressen
Und während man noch an dir kaut
Dich schlecht bezahlt und gut verdaut
Bevor der nächste Morgen graut
Bist du vergessen
aaaaaUnd doch: Die Hundeblume blüht
aaaaaAuch in der Regenpfütze
aaaaaNoch lachen wir
aaaaaNoch machen wir nur Witze
Ich segelte mit steifem Mast
Zu mancher Schönen, machte Rast
Und hab die andern dann verpasst
Es gibt zu viele
Jetzt hat mein schönes Boot ein Leck
Die Planken faulen langsam weg
Es tummeln sich, ich seh mit Schreck
Die Haie unterm Kiele
aaaaaUnd doch: Die Hundeblume blüht
aaaaaAuch in der Regenpfütze
aaaaaNoch lachen wir
aaaaaNoch machen wir nur Witze
Die Zeit hat ungeheuren Schwung
Paar Jahre bist du stark und jung
Dann sackst du langsam auf den Grund
Der Weltgeschichte
So manche Generation
Lief Sturm auf der Despoten Thron
Und wurd beschissen um den Lohn
Und ward zunichte
aaaaaUnd doch: Die Freiheitsblume blüht
aaaaaAuch in der Regenpfütze
aaaaaNoch lachen wir
aaaaaNoch machen wir nur Witze
BILANZBALLADE IM ACHTZIGSTEN JAHR
Nun werde ich keine Bäume mehr
Ausreißen: die Knochen knirschen
Doch Bäumchen pflanzen kann ich noch
Am liebsten paar Äppel und Kirschen
Ich lebte mein Leben nie dumpf dahin
Ich trieb es! Und wurde getrieben
Im Freiheitskriege der Menschheit bin
Ich wunderbar lebengeblieben
Sah manchen armen geprügelten Hund
Kaputtgeschlagen, begraben
So viele gingen an Schlägen zugrund
Die sie leider nicht ausgeteilt haben
Ich warf mich in Menschheitsretterei’n
Meinen jungen Vater zu rächen
Doch nun will ich Glückskind auch tapfer sein
Im Kampf mit den Altersgebrechen
Der tiefere Sinn unseres Lebens ist
Das Leben selbst. Deinem Leben
Gib Dich grad krumm hin, wie Du bist!
aaaaa– so kannst Du ihm Würde geben
Dies irdische Höllen-Paradies
Ist schön! Und häßlich wird’s bleiben:
Schön bunt und blutig ungerecht
Der Mensch wird sich selbst vertreiben
Von Mutter Erde: Im letzten Krieg
Hilft keine Vernunft mehr, kein Beten
– ein toter Stern wird der Erdball sein
Planetchen, nackt unter Planeten
Paar Wahrheiten hab ich zusammengereimt
Gespottet, geküsst, gejammert, geflucht
Gespuckt und gekotzt, doch niemals geschleimt
Dich hab ich gefunden, mich hab ich gesucht.
Ich staunte die Welt an, seit eh und je
– mit Kinderaugen, uralten
Begreif immer weniger, was ich noch seh
Wenn mir nun verfinstert die Sonne lacht
Mag sein, ich hab zu viele Worte gemacht
Im Nichts, wo ich bald meiner Wege geh
Im Ewigen Frieden, in ewiger Nacht
aaaaa– wird Biermann die Schnauze halten.
Es sind die Verse – sie erwiesen sich als meine stärkste Waffe im Streit der Welt. Feinde, aber auch Freunde, ich ohnehin – so manche Zeitgenossen sind nun gut aufgehoben im Bernstein meiner Balladen. Einige Canaillen habe ich hochnotpeinlich eingeschlossen im Bernstein der Pasquille, etliche Freunde habe ich treu bewahrt vor dem Vergessen im Bernstein der Gedichte. Und deutsch-deutsche Liebespaare in großer politischer Landschaft habe ich für eine kurze Weile verewigt im Bernstein meiner Lieder.
Ich bin jetzt achtzig Jahre alt. Und mit zagem Vergnügen leiste ich mir ein Bekenntnis: In meinen Gedichten war ich meistens geistreicher und phantasievoller, als ich bin. Ich verdanke solchen Zugewinn den beiden Musen Erato und Polyhymnia. Diese antiken Schönheiten haben mir immer allerhand zugesteckt. Aber woher hatten sie es? Sie raubten es: Weggeklaut haben sie das Brauchbarste von den Möchtegern-auch-mal-Poeten, von diesen ungeküssten Dilettanten mit ihrer chronisch unerwiderten Liebe zur Kunst.
Dabei sind etliche dieser Schwachpoeten keineswegs in Wirklichkeit so blöd wie ihre gestümperten Verse. Aber: Es tyrannisiert und paralysiert jeden Nichtkönner der Respekt vor der Poesie, der eitle Zwang zur ästhetischen Form, zu Versmaß, Rhythmus und Reim. So dichtet der überforderte Dichtler Schwachsinn, der ihm in platter Prosa niemals in den Sinn käme. Beim Dichten also stehlen die launischen Musen ihm all seinen Witz und sogar die erworbene Lebensklugheit. Tja, und dann stecken diese kapriziösen Damen solches Diebesgut halt als Geschenk ihren Lieblingen zu. Auch die Liebe der Götter kann ganz schön blind sein. Die Musen küssen sogar reaktionäre Idioten. Sie knutschen hirnrissige Ekel. Mensch, Alter! Genial rappen kann man auch mit schiefem Maul und verfaulter Moral. Wir wollen eben alle lieber ein gutes Gedicht von einem schlechten Menschen, als umgekehrt ein schlechtes von einem Guten.
Die Auswahl dieser Lieder und Gedichte erzählt von meinen Illusionen, den Hoffnungen, Zweifeln und Verzweiflungen, von Glückseligkeiten, vom Kontinuum und von den Brüchen meines Lebens. Die Verse markieren schön deutlich die Etappen meiner langen Wegstrecke vom geborenen Kommunisten zu einem treuen Renegaten, der sich endlich von der Ideologie seines Kinderglaubens befreit.
Als ich in der DDR-Diktatur balancierte, war mein Seil im politischen Lebenszirkus fünfzehn Meter hoch unter der Kuppel gespannt, und zwar ohne Netz. Warum so hoch? Das Publikum genießt den Kitzel. Der Artist macht da oben seinen einfachen Salto, und wenn er abstürzt, wird auf der Beerdigung eben mein „Barlach-Lied“ gesungen:
Vom Himmel auf die Erden
Falln sich die Engel tot
Seit der Ausbürgerung 1976 lebe ich in der Demokratie. Aber da ist das Seil halt nur einen Meter hoch über dem weichen Sand der Arena gespannt. Ich lernte im Westen weiter und trainierte, konnte bald den doppelten Salto. Aber das Publikum will den wohlfeilen Kitzel genießen. Nun bin ich es, der genießt: den gefährlichen Kitzel der Freiheit.
Wolf Biermann, Vorwort
ist Wolf Biermann vor allem eines: Liederdichter. Von Hanns Eisler ermutigt, hat er bereits Ende der 1950er Jahre begonnen, zu komponieren und seine Verse zu singen. Es sind Lieder zwischen „aufständischer Wut und ganz leise werdender Melancholie“, wie Fritz Raddatz einmal schrieb.
Der Band versammelt eine Auswahl von Liedern und Gedichten aus fünfzig Jahren, vor allem jene, die in Biermanns Leben eine Schlüsselrolle gespielt haben – wie das Lied „Ermutigung“, das zur heimlichen Hymne der politischen Häftlinge in der DDR wurde, Spottlieder wie die „Stasiballade“ oder „Die hab ich satt!“, aber auch die kurz vor der Ausbürgerung geschriebene „Ballade vom preußischen Ikarus“, erstmals gesungen im legendären Kölner Konzert 1976. Die „Ballade von den verdorbenen
Greisen“ über das Politbüro der SED, die Biermann am 1. Dezember 1989 in Leipzig sang, als er erstmals wieder in der DDR auftreten durfte, und Lebenslieder wie das nach dem Mauerfall verfasste „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“ oder „Heimat“ aus dem Jahr 2006 runden die poetische Sammlung ab.
Prophyläen, Ankündigung
282 Balladen, Liedtexte, mal kurz, mal mit längeren Versen sind es, die aus Biermanns Lebenswerk in diesem Buch versammelt sind.
Es sind die Verse – sie erwiesen sich als meine stärkste Waffe im Streit der Welt. Feinde, aber auch Freunde, ich ohnehin… sind nun gut aufgehoben im Bernstein meiner Balladen.
Mit markigen und, wie so oft, hintergründigen und sehr klaren Worten erläutert Biermann im Vorwort noch, womit ihn „die Musen“ küssten und welch „Schwachpoeten“ sie die Inspiration entnahmen, um sie ihm zukommen zu lassen. Das ist sicherlich keine sonderlich sympathische, eher überheblich wirkende Sicht auf den künstlerischen Schaffensprozess, wobei jeder einigermaßen kundige Leser Biermann im Stillen Recht geben mag bei all dem, was einem als „ernsthafte Kunst“ hier und da angeboten wird.
Sei’s drum, in den 282 Liedern und Gedichten ist das Werk Biermanns in guter Auswahl durch ihn selbst vor allem eines, nämlich eine breite Vertretung seiner verschiedenen Facetten.
Hoffnungen, Illusionen, Zweifeln und Verzweiflung, Glückseligkeit, Kontinuum, aber auch die Brüche seines Lebens, all das hat Biermann immer künstlerisch verarbeitet, herausgeschrien, sanft gesungen, bedächtig vorgetragen oder leidenschaftlich den Hörern dahingeworfen.
So lasst uns unsrer Väter wahre Söhne sein: respektlos aufkrempeln die Schlotterhemden und singen! Schreien! Unverschämt Lachen!
Sei es der Prolog für den Film Spur der Steine, sei es der „Gesang für meine Genossen“, sei es die „Bibel Ballade“, dieses Werk verschafft einen gelungenen Eindruck von der Vielfältigkeit der Themen Biermanns, seiner immer streitbaren, aufmüpfigen, lauten Ader. Vom krachenden „Kampflied“ zum leisen „Liebeslied“, vom alltäglichen Miteinander zum gesellschaftlichen Umbruch, in Ruhe kann der Leser sich hier umfassend versammelt dem Denken und den Aussagen Biermanns, offen politisch bis ganz poetisch, annähern.
Eine gelungene Werkschau für jene, die Biermann als Wegbegleiter sehen, wie auch für jene, die vielleicht das erste Mal schauen möchten, was es mit dem Mann so auf sich hat.
Von Wolf Biermann sollte der Leser vor allem eines wissen: Wolf ist ein Liederdichter. Dazu hat ihn Hanns Eisler angehalten. Wolf Biermann hat bereits vor 1960 damit begonnen, zu komponieren, dazu Verse zu schmieden und diese mit Gitarrenspiel zu singen. Sehr viele seiner Lieder zeugen von widerständischem Unmut, aber auch von ganz leise vorgetragener Traurigkeit. In diesem Band befinden sich zahlreiche Lieder und Gedichte aus dem letzten fünfzig Jahren. Davon sehr viele, die mit seinem eigenem Leben zu tun haben. Dazu zählt auch das Lied „Ermutigung“ oder die „Stasi-Ballade“. Diese hat er vor seiner Ausbürgerung aus der DDR geschrieben. Kurz davor schrieb er noch die „Ballade vom preußischen Ikarus“. Es ist eine sehr gute poetische Zusammenstellung von Liedern und Gedichten in diesem Band vereint. Dazu gehört auch:
Nur wer sich ändert, bleibt sich treu! –
Dieses Zitat von Wolf Biermann beschreibt die Notwendigkeit, sich im eigenen Leben nicht gegen Veränderungen zu wehren. Ach, und die Utopien. Sie steigen auf und leuchten und verbrennen und verblassen und gehen halt unter.
Das war’s! Eine Einladung, dieses Buch der Zeitgeschichte zu lesen.
Bei der Stasi-Ballade handelt es sich tatsächlich um eine Ballade. Es erzählt eine dramatische Geschichte. Das Gedicht stimmt mich sehr nachdenklich. Was bedeutet so eine Überwachung für die jeweilige Person? Ist es möglich unter solch einer ständigen Überwachung zu „leben“? Man muss weitermachen, auch wenn es schwer fällt. Man muss seinen Weg weiter gehen. Seine Meinung äußern, denn das bedeutet „Leben“! Das ist zu jeder Zeit so. Das alles gehört in ein Buch der Zeitgeschichte/Geschichtsbuch.
Fünf Sterne für dieses Buch der Zeitgeschichte.
Von der „Drahtharfe“ bis zu „Nachlass“ reichen die Sammlungen der Lieder und Gedichte Wolf Biermanns. Jetzt gibt es, als Parallelprojekt zur Autobiografie Warte nicht auf bessre Zeiten! den repräsentativen Auswahlband. Im Bernstein der Balladen soll nun eingeschlossen sein, was nach Biermanns Meinung als sein zeitlos gültiges Werk anzusehen ist. Aber Biermanns raue Lyrik als Coffeetable-Format – geht das überhaupt?
„Soldat Soldat“, „Ermutigung“, „Die hab ich satt“: Das sind Titel wie Fanale, Texte wie Taktzeichen im Strom deutsch-deutscher Trennungs- und Leidensgeschichte. Ein Vierteljahrhundert sollen sie zum Lyrikschatz geronnen sein. Wolf Biermann betreibt mit dem Auswahlband seine eigene Kanonisierung. Der Vorteil: Mit diesem Konzentrat auf etwas über 200 Seiten ist der Liedermacher Biermann als Dichter zu entdecken, der als Nachfahre von Villon und Brecht zu gelten hat.
Der Nachteil: Ein Vierteljahrhundert nach Mauerfall ist der Zeitkontext mancher dieser Texte unrettbar entschwunden. Ein erläuternder Kommentar würde helfen, diese Texte auch für jene Leser zu erschließen, die zeitgeschichtlich nicht sattelfest sind. Im Bernstein eingeschlossen sind diese Liedtexte eben nicht. Sie gehören in ihre Zeit als Zeugnisse des Protestes. Sie sind nicht nur als Dichtungen, sondern immer auch als Dokumente der Historie zu verstehen.
FÜR EINEN LIEDERMACHER
hofnarr ohne höflichkeit
poet der ausverkauften zeit
(für dich werf ich ein netz aus
und fange die worte)
zyniker im regenbogen
bei alchimisten aufgezogen:
feuersalamander
mephisto, narciss
und auch karl kraus.
für dich werf ich mein netz aus.
Martina Bilke
ZEITUNG
Der geifert seit zehn Jahren Gift und Speie
Schreibt eine Zeitung giftend geifernd speiend
So ist das Recht. Ich schreibe Zeilen, um
Trost auszuteilen, weil das Recht so ist
Und der Mensch Trost braucht, wenn ihm sonst zu schwer ist
Was ist; das Recht, beschrieben, tröstet
Selbst in den schlimmsten Fällen. Wen? Die Leser.
Was tröstet mich? Ich lese Spaniens Chronik
Und hör Ernst Busch. Wie graue Wölfe schoben
Sich die Wolken, brüllt er. Sänger des Menschen Tröster
(Die letzte Silbe ist wenn geht zu dehnen)
Evelyn Finger: „Im Paradies würde ich vor Langeweile sterben“
Die Zeit, 3.11.2011
Andreas Öhler: Der Mensch ist sein Gott
Die Zeit, 10.11.2021
Robert Hottua: „Viel mehr erlebt als ich schreiben kann“ – Wolf Biermann wird 85
Tageblatt Lëtzebuerg, 14.11.2021
Martin Schulte: Interview zum 85. Geburtstag: Wolf Biermann und sein Glaube an die Menschen
Osnabrücker Zeitung, 14.11.2021
Salli Sallmann: Wie Wolf Biermann die DDR-Opposition geprägt hat
RBB, 15.11.2021
Andrej Hermlin: Ich denke an ihn mit Bewunderung
Berliner Zeitung, 15.11.2021
Lars Haider Interview mit Wolf Biermann: Ich war auf den Lockdwon trainiert
Hamburger Abendblatt, 15.11.2021
Laura Döing: Wolf Biermann: Der radikale Kritiker wird 85
DW, 15.11.2021
Marko Martin: Mentsch Wolf!
Jüdische Allgemeine, 15.11.2021
Stefan Grund Interview mit Wolf Biermann: Querdenker sind nicht quer, sondern verquer
Die Welt, 12.11.2021
Der Fall Biermann – die Geschichte von Wolf Biermann und der DDR.
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