Wolf Wondratschek: Chuck’s Zimmer

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Wolf Wondratschek: Chuck’s Zimmer

Wondratschek-Chuck’s Zimmer

HENRY MILLER GEHT WIEDER AUF DEN STRICH

Die Show ist restlos ausverkauft
Die toten Typen tanzen Rock’n Roll
2001 steht an der Wand in Kreide
Ein Raumschiff wird in Elvis umgetauft

Jim Morrison kommt extra angereist aus Ostberlin
Dürer bemalt den Petersplatz
Dali versteigert Mondgestein
Dann kommt der Höhepunkt
Ein Astronaut schreit auf
Jesus trifft ein

Die Show ist restlos ausverkauft
Die toten Typen tanzen Rock’n Roll
Um Mitternacht erscheint auch Marylin
In einem Reisverschluß aus reiner Seide

Jesus bewundert sie in ihrem Kleid
A. Hitler hat fünfundzwanzig Falten im Gesicht
Buddha ist weise schweigt und zeigt die Hände
Brummbär steht neben Morrison und prophezeit das Ende
Ein Boxer aus der DDR wird Weltmeister im Schwergewicht

Die Show ist restlos ausverkauft
Die toten Typen tanzen Rock’n Roll
2001 steht an der Wand in Kreide
Ein Raumschiff wird nach dir getauft

 

 

 

Lyrik

Kürzlich waren in einer Illustrierten Tips dazu zu lesen, was man tun müsse, wenn man ein Buch geschrieben habe und es veröffentlichen wolle: also wie das Manuskript aussehen solle, an welche Verlage man sich am besten wende, wie die Aussichten einer Veröffentlichung heute seien. Und in diesem Zusammenhang wurde den Freizeit-Schriftstellern der gute Rat gegeben, Lyrik-Manuskripte erst gar nicht abzuschicken – Gedichte hätten derzeit überhaupt keine Chance.
So ist die Lage – und nicht nur für Hobby-Dichter. Selbst namhafte Autoren, die noch vor Jahren regelmässig Lyrikbände veröffentlichen konnten, stossen bei deutschen Verlagen heute auf Desinteresse. Und wenn ein Verlag tatsächlich noch einmal einen Gedichtband herausbringt, dann behandelt er ihn stiefmütterlich bei der Werbung, und kaum eine Buchhandlung hat ihn am Lager. Die vielfältigen Gründe dafür, warum die Zeiten für Lyrik schlecht sind, sollen jetzt nicht erörtert werden. Hier sei vielmehr hingewiesen auf den individuellen Versuch eines Autors, die allgemeine Misere zu unterlaufen (– die ja, wohlgemerkt, nicht, oder nicht in erster Linie eine Misere des Lyrik-Schreibens, sondern des Verlegens ist, ein Problem also nicht der Produktion, sondern der Distribution).
Wolf Wondratschek, kein unbekannter Autor, hat kürzlich unter dem Titel Chuck’s Zimmer seinen ersten Gedichtband herausgebracht. Er ist nicht in einem Verlag erschienen und wird nicht über den Buchhandel vertrieben. Wondratschek, der mit Hörspielen erfolgreich war, 1969 und 1970 bei Hanser zwei schmale Prosabände und 1972 den Sammelband Omnibus publizierte, Wolf Wondratschek hat mit erspartem Geld Papier gekauft und auf eigene Kosten dreitausend Exemplare seines Gedichtbuchs drucken lassen. Aus einem Koffer verkaufte er die Bücher selbst (beispielsweise während der letzten Buchmesse), bis er sie dem Versandgeschäft Zweitausendeins übertrug (6 Frankfurt/Main, Postfach 600874), wo man Chuck’s Zimmer nun beziehen kann – übrigens zu einem Preis, der weit unter dem normaler Gedichtbände liegt. Hier hat nicht ein verkannter Dichter, den ohnehin niemand hatte drucken wollen, zur Selbsthilfe gegriffen – hier hat ein Autor gegen die derzeitigen Marktbedingungen für Lyrik demonstriert und zu beweisen versucht, dass es auch ohne die Verlage geht. Ich glaube zwar nicht, dass dieser Versuch ein Modell sein kann, dass der Beweis, die Verlage seien überflüssig, gelungen ist. Beachtung scheint mir jedoch der spektakuläre Versuch eines Schriftstellers zu verdienen, die Misere so augenfällig zu demonstrieren, die Demonstration eines Autors, in dessen Gedichten sich der Satz findet:

Meinem Verleger teile ich mit: Sie brauchen einen,
der schweigt!

Beachtung allerdings verdienen nicht nur die Umstände der Publikation dieses Buches, Beachtung verdienen auch die Gedichte selbst. Sie zeigen, dass Wondratschek nach einem allzu raschen literarischen Aufstieg – bei ihm hatte sich um 1970 in verkleinertem Massstab der Erfolg wiederholt, den der nur ein Jahr ältere Peter Handke hatte – in einer zweijährigen Publikationspause von einer oft modisch-pophaften Schreibweise Abschied genommen und sich auf die Möglichkeiten einer individuellen Dichtung konzentriert hat: „Poesie ist fast nichts, aber das total“, heisst es jetzt. Wondratschek artikuliert in seinen Gedichten auch die Erfahrungen einer Generation, die nach den Räuschen durch Beat, Hasch und Sex ernüchtert, resigniert oder ausgeflippt vor den Trümmern von Hoffnungen und Träumen steht. Wohl die eindrucksvollsten seiner Gedichte beschreiben Begegnungen mit der eigenen Vergangenheit, die zwar mit ihren Idealen und Utopien noch lebendig ist und in halluzinatorischen, surrealistischen Szenen noch in die Gegenwart hineinwirkt, aber doch – wie Begegnungen mit Bekannten aus jenen Jahren zeigen – weitgehend schon fremd und unvertraut geworden ist. Diese Gedichte markieren ein Ende und zugleich einen neuen Anfang.

J.P. Wallmann, Die Tat, 25.1.1975

Handfeste Rock-Lyrics

Gedichte von Wondratschek bekam ich zum ersten Mal vor ungefähr zehn Jahren zu sehen. Sie waren so, daß sie an meinem Gedächtnis keine Schrammen hinterlassen haben. An einem Tag des Jahres 1968 soll Wondratschek hundert seiner Gedichte auf einen Schlag vernichtet haben. Das Gedicht, für das er tags zuvor den Leonce-und-Lena-Preis erhalten hatte, gehörte mit Sicherheit nicht dazu. In diesem Gedicht hieß es unter anderem:

Als Alfred Jarry bemerkte, daß seine Mutter eine Jungfrau war, bestieg er sein Fahrrad.

Hier hatte Wondratschek das erfolgsversprechende Strickmuster gefunden, nach dem er dann auch seine Prosatexte anfertigte: es waren Sätze, von denen keiner auf eine Pointe verzichten wollte, auch wenn er dadurch zum Kalauer wurde; Sätze, die oft nicht mehr zu sagen hatten, als daß sie eben schick formuliert seien. Für die beiden Prosabände, in denen diese Sätze versammelt sind, fanden sich im Laufe der Jahre etwa 50.000 Abnehmer, und für Wondratschek schien es keinen Grund zu geben, weshalb er eines Tages – Erfolgsrezept hin oder her – über seinen eigenen Schatten springen sollte.
Genau das hat er aber jetzt getan – mit seinem Gedichtband Chuck’s Zimmer, an dem zwei Dinge bemerkenswert sind: 1. Wondratschek redet jetzt Klartext (und das heißt unter anderem: Umgangssprache), und er redet von handfesten Erfahrungen aus dem Alltag von Leuten, die wie er selbst nicht viel älter als Dreißig sind und nach einer Reihe von Trips (die nicht immer die besten waren) einiges dazugelernt haben; 2. Wondratschek hat das Buch auf eigene Kosten produziert und kümmert sich auch selbst um den Vertrieb.
„Es ist eine unglaubliche Befriedigung, etwas, was man selbst geschrieben hat, selbst zu drucken“, sagte er auf der Frankfurter Buchmesse. Nicht daß er es nötig gehabt hätte – er hätte das Buch genau wie seine bisherigen im HanserVerlag erscheinen lassen können.
Stattdessen ist das Buch wenige Wochen nach Fertigstellung des Manuskripts erschienen, kostet DM 6,90, und diesen Preis ist es wert, denn es ist mehr als nur „wieder so ein deutscher Lyrikband“.
Einer ganzen Reihe seiner Gedichte merkt man an, daß die hautnahe direkte Message von Leuten wie Fauser (Die Harry Gelb Story) und Theobaldy (Blaue Flecken) an Wondratschek nicht spurlos vorübergezogen ist; und genau wie diese beiden hat auch er die Gedichte des Amerikaners Charles Bukowski mit einigem Gewinn gelesen. Zwar meldet sich in manchen krampfigen Formulierungen noch der ,alte‘ Wondratschek: „Ich redete drauflos, besoffen vom Leitungswasser wie alle Marxisten“ (was ich auch deshalb komisch finde, weil er mir als Marxist eigentlich nie aufgefallen ist), aber wenn er z.B. mißmutig auf seine frühere Tätigkeit als Zulieferer des offiziellen Kulturbetriebs zurückblickt, klingt das ziemlich glaubwürdig:

… eine Reihe nutzloser Gespräche, lausige Interviews, die ich immer in einer genau ausgedachten, politisch symmetrischen Harmonie absolvierte, rechts ein Konservativer, sonnengebräunt, halbrechts der liberale Universitätslehrer, der seine Schwäche für Neger durchblicken läßt, sobald er Zeit dafür hat, in der Mitte Schweinchen Schlau, daneben meistens Günter Grass…

So direkt und ohne Schlenker geht es in diesem Band nicht immer zu, aber oft genug, um interessant zu sein für Leute – vor allem jüngere –, die sonst mit gutem Grund um Gedichte einen Bogen machen.
Da ist zum Beispiel die Rede von einem alten Bekannten, den der neue Wondratschek („barfuß“) auf der Buchmesse trifft:

Wenn wir früher mal zusammen ins Puff gegangen wärn, anstatt immer nur in die Funkkantine, wir wären bestimmt zeitlebens gut miteinander ausgekommen, aber so lief’s halt nicht besonders.

Es ist auch öfter die Rede von einem Typ namens Chuck. der plötzlich feststellt, daß er während der letzten zehn Jahre in einen ziemlichen Sumpf geraten ist, aus dem er nicht mehr herausfindet; er streicht sein Zimmer schwarz an, setzt sein Frühstück in Brand, die Leber macht Schwierigkeiten, und er sagt sich: „Too late to be legal“; schließlich: „Chuck beschließt, völlig entmutigt, glücklich zu sein“, aber daraus wird nicht viel werden:

Im Osten bleibt die Leuchtschrift hängen. Im Westen eröffnet ein neues Lokal. Ein leerer Arm liegt neben dem Verstärker. In den Särgen wird englisch gesprochen…

Das Mädchen in Apartment 302 ist auch nicht besser dran: sie fühlt sich „wie ein Astronaut, der heimlich Fingernägel kaut, auch nicht weiß, wie’s weitergeht.“ Man hängt also ziemlich rum, keiner sieht so recht, wo es langgehen soll, auch Wondratschek selbst sagt an einer Stelle zu seinem Freund, dem Boxer:

Deine Freundin wird irgendwann am Blitzlicht der Modefotografen ersticken und ich lande in irgendeiner tödlichen Folterkammer, die den Vorteil hat, ganz sanft zu funktionieren…

Ich weiß nicht, ob er sich hier mit dem Gedanken vertrautmachen will, daß er eines Tages, wenn alle Stricke reißen, Beamter werden wird. Auf jeden Fall scheint er für die Zukunft wenig reelle Chancen zu sehen, und unterm Strick bleibt für ihn vorerst nur die trockene Feststellung übrig, die er auf Seite 28 einem Rock’n’Roll-Freak mit auf den Weg gibt:

Was soll ein Typ wie du machen außer weitermachen.

Dazu liefert er allerdings eine Bestandsaufnahme in Form von handfesten Rock-Lyrics, die (von einigen Ausrutschern abgesehen) zum Besten gehören, was in dieser Art bisher in deutscher Sprache zu Papier gebracht worden ist. Das ist umso weniger zu verachten, als man um die Feststellung nicht herumkommt, daß deutschen Popgruppen auf diesem Gebiet schon seit jeher nicht eben viel Brauchbares eingefallen ist. Es wäre deshalb keine schlechte Idee, wenn sie sich hier bedienen würden:

Die Show ist restlos ausverkauft
Die toten Typen tanzen Rock’n’Roll
2001 steht an der Wand in Kreide
Ein Raumschiff wird in Elvis umgetauft

aaaaaaaaaaaaHenry Miller geht wieder auf den Strich

In diesem Zusammenhang trifft es sich ganz gut, daß Wondratschek auch einen sehr sinnvollen Dreh gefunden hat, um mit diesen Texten die richtigen Leute zu erreichen: der Frankfurter Pop-Schallplatten-Versand Zweitausendeins hat das Buch in seinen Katalog aufgenommen.

Carl Weissner, Sounds, März 1975

Weiterer Beitrag zu diesem Buch:

Werner Ross: Der neue Realismus in der Lyrik
Merkur, Heft 329, Oktober 1975

 

„Was macht uns noch laufen?“

Im Münchner Heyne Verlag ist soeben unter dem Titel Chuck’s Zimmer die Taschenbuchausgabe der gesammelten Gedichte und Lieder von Wolf Wondratschek erschienen, die er im Selbstverlag via den Buchvertrieb 2001 bereits in der phänomenalen Auflage von über 100.000 Exemplaren publizierte. Damit ist Wolf Wondratschek sicher der meistgelesene lebende, deutschsprachige Lyriker. Anlässlich seiner Lesung in der Zürcher Roten Fabrik unterhielt sich Tadeus Pfeifer mit ihm.

Tadeus Pfeifer: Wolf Wondratschek, in Ihren Gedichten haben Sie auch über Drogen geschrieben. Welches Verhältnis haben Sie zu Drogen?

Wolf Wondratschek: Ein gutes.

Pfeifer: Mir wird, so wie Sie schreiben, nicht ganz klar, ob Sie für oder gegen die Drogen sind?

Wondratschek: Ich habe in dem Gedicht „Über die Verherrlichung von Drogen“ Stellung bezogen gegen den neuen gesetzlichen Anti-Drogen-Paragraphen in der BRD und eine Liste gemacht, wer alles hinter Schloss und Riegel gehört, wenn der Paragraph angewendet wird – und mich gleich auch angeboten. Und dann habe ich eine Attacke geschrieben gegen den „legalen“ Alkohol.

Pfeifer: Sie fürchten nicht, dass der Leser das als Aufforderung verstehen könnte, harte Drogen zu versuchen?

Wondratschek: Nein! Ich würde aber auch keine Kampagne gegen die harte Droge unterstützen, weil ich das blöd fände. Ich propagiere sie auch nicht… Drogen, das ist eine so private Erfahrung von jedem einzelnen, und wenn dabei ein paar Leute draufgehen, so tut mir das überhaupt nicht leid. Das ist ein falsches Gejammer. Ich kenne einige, die auf harten Drogen waren – Gott sei Dank haben’s die meisten überlebt. Aber daraus zu folgern, ich würde mich jetzt gegen die harte Droge engagieren, das ist mir zu sehr auf der falschen Seite.

Pfeifer: Diejenigen, die es überleben, verfügen wohl über eine geistige Fähigkeit, welche 15- bis 20jährigen Jugendlichen fehlt.

Wondratschek: Dennoch würde ich keinen Aufruf gegen harte Drogen unterstützen. Ich bin auch nicht die Autoritätsperson dazu.

Pfeifer: Sie sind aber ein unwahrscheinlich viel gelesener Schriftsteller, gerade von jungen Menschen, denen dieses Problem täglich gestellt wird. Empfinden Sie da keine moralische Verantwortung?

Wondratschek: Nein, im Gegenteil. Ich würde eher sagen: Kinder, probiert’s aus, wenn ihr dabei drauf geht, geht ihr drauf, wenn nicht, habt ihr eine grössere Erfahrung gemacht, als wenn ihr es – gewarnt von wem auch immer – unterlassen habt. Wenn ich mich überhaupt da einmischen würde, so höchstens, um ein wenig Vernunft und Respekt in die Sache zu bringen.

Pfeifer: Sie nennen Ihren Gedichtzyklus im Untertitel „Die Beschreibung meiner Generation in den 70er Jahren“. Wie charakterisieren Sie diese Generation?

Wondratschek: Mit dem, was Georg Büchner in Leonce und Lena ausgedrückt hat. Ich sehe viele „Leoncen“. Ein oberstes Problem ist das der Langeweile… Wir begeistern uns für nichts. Was macht uns noch laufen? Als Chuck’s Zimmer entstand, zwischen 1971 und 1974, das war die Zeit, wo wir alle mehr oder weniger auf unseren Matratzen lagen. Man ging ein bisschen ins Kino, ins Rockkonzert, man hat Drogen genommen – das war’s dann. Es war klar: keine Familie gründen. Es war klar: keinen Beruf ergreifen. Alle wollten was Künstlerisches tun und sich ausdrücken, alle sahen Farben und hatten Ideen, waren berauscht von den Medien und so weiter, aber: kein Beruf! In dem Sinne: nichts dienen! Keinerlei Disziplin. War ja auch nicht notwendig. Diese Generation zeichnet sich dadurch aus, dass sie einfach nur auf der Matratze liegt, dass sie Träume hat, dass sie ablehnt. Diese Generation hat gesagt: Wir wissen zwar nicht, wie es sein soll, aber so, wie es ist, gefällt’s uns nicht. Aber das Gefühl der Ohnmacht, nicht einwirken zu können auf die Politik, auf die Vernunft der Menschen, hat keine tragische Dimension! Das ist die Generation, in der wenige es geschafft haben, ihre Träume mit der Disziplin in ihrer Arbeit zu verwirklichen. Ein Teil ist heute Stadtstreicher, ein Teil ist ausgeflippt nach Indien, ein Teil – hat Familie. Ich sehe sie alle als Leoncen. Leonce schafft es ja auch nicht. Worauf es ankommt, das ist der Valerio. Valerio gibt einem plötzlich einen Sinn. Er ist dasselbe wie Donald Duck. Dem geht Leonce hinterher, weil er sich fragt: Wo geht der hin? Er denkt, ihm hinterhergehen, das ist das Beste, was er machen kann. Valerio steht für viele Leute, für Timothy Leary zum Beispiel, Valerio ist alles, was einen gehen macht.

Pfeifer: Alleine gehen macht – oder in der Masse?

Wondratschek: Ich hab’ immer gewusst, es kann nur etwas passieren, wenn ich alleine durch die Strassen gehe. Schon wenn du deinen Kumpel dabei hast, passiert nur noch die Hälfte. Bleib alleine! Jugendzentren, wo die Jugend nur zusammen sein will, weil der andere vom einen sagt: Der ist auch so wie ich – das ist eine trostlose Angelegenheit und führt zu echt nix. Es gibt so ein Fussballbuch, wo Schriftsteller über Fussball schreiben, und da fragte mich neulich jemand, warum ich da nicht drin sei. Ich verstehe aber gar nicht, wieso sich Schriftsteller für Fussball interessieren können, denn es ist ein Team-Sport! Das Kollektiv – auch des Fussballsports – das ist eine Kleingeisterei. Schämen sich die Schriftsteller? Sie haben sich nicht mehr Dichter genannt, sondern Lyriker. Dann wollten sie nicht einmal mehr Schriftsteller sein, sondern sie nannten sich Literaturproduzenten. Und die Regisseure haben sich plötzlich Autorenfilmer genannt. Und das mit einem politischen Avantgarde-Gefühl! Etwas Erbärmlicheres gibt es doch gar nicht! Meinen Hunger nach Lebensgefühl bekomm ich doch nur dann gestillt, wenn ich nicht im Kollektiv handle! Realität passiert nur, wenn man mutig genug ist, alleine zu leben.

Pfeifer: Ist das die Radikalität des Dichters?

Wondratschek: Die Dichter ersetzen doch alles, was verlorengeht. Wir sind doch die Letzten, die sich den Massenmedien noch entgegenstellen, dem schnellen Telefonat und so fort; statt dessen sind wir die, die Liebesbriefe schreiben. Wir sind die Leute, die die Zeit anhalten wollen. In dem Sinn ist Radikalität ganz mit dem verschwistert, was ich Zärtlichkeit nenne. Das, was wir, die Dichter, wirklich tun können, ist, so altmodisch wie möglich sein! Das hat nichts mit reaktionär zu tun, sondern – wenn man schon einen blöden Ausdruck brauchen will – mit restaurativ.

Pfeifer: Wie erklären Sie sich selbst Ihren ungeheuren Erfolg als Dichter?

Wondratschek: Mir fiel dazu immer folgendes ein: Es gab diesen Film Easy Rider. Da wurde ein Mann in einer Nebenrolle – und Lyrik ist ja auch eine Nebenrolle in der Literatur –, da wurde ein Jack Nicholson, der ja eine kleine Rolle hatte, plötzlich eigentlich der Focus für eine Empfindung von uns. Und dann wurde der halt ein Star. Vielleicht kann ich es so irgendwie erklären. Irgend etwas ist offenbar in meinen Gedichten, was einen „Mehr-Wert“ hat und was sicher nichts mit ihrer Qualität zu tun hat. Ich muss sagen: Wenn ich die Leute sehe, die Gedichte schreiben (wer immer das ist) – ich will ihnen nichts glauben! Es sind Epigonen! Epigonen in ihren Empfindungen. Nennen wir’s so: Sie haben keine Erotik.

Wir Brückenbauer, 21.5.1982

 

 

Vertonte Gedichte aus Chuck’s Zimmer Interzone: Letzte Ausfahrt

Alke Lorenz: Musikalische Flaschenpost aus dem Jahr 1979
rbb24.de, 16.3.2019

Harry Nutt: Ich hänge in der Luft und du kannst fliegen
Berliner Zeitung, 16.3.2019

 

Das vergessene Album von Interzone

Weltpremiere: West-Berliner Band Interzone bringt nach 40 Jahren verschollenes Album raus.

Gepostet von radioeins am Montag, 11. März 2019

 

 

In der Podcastreihe Weekly Wondratschek vom Ullstein Buchverlag lesen Schauspielerinnen und Schauspieler aus den gesammelten Gedichten von Wolf Wondratschek.

 

 

Zum 70. Geburtstag des Autors:

 

 Zum 75. Geburtstag des Autors:

Helmut Hein: Der dichtende Rebell aus Wien
Mittelbayerische Zeitung, 8.8.2018

Arno Widmann: Ein Liebhaber der Grenzüberschreitung
Frankfurter Rundschau, 14.8.2018

 Zum 80. Geburtstag des Autors:

Knud Cordsen: Die Welt anrempeln: Kultautor Wolf Wondratschek wird 80
BR24, 14.8.2023

Willi Winkler: Dichter in Volksausgabe
Süddeutsche Zeitung, 13.8.2023

Rose-Maria Gropp: Dieser unverwechselbare Ton
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.8.2023

Albert Otti: Der einstige Rock-Poet schlägt leisere Töne an
Badische Zeitung, 14.8.2023

Sven Trautwein: Kultautor Wolf Wondratschek wird 80 – Alles Gute zum Geburtstag
24books.de, 15.8.2023

Daniel Dubbe: Hier darf man noch rauchen
junge Welt, 15.8.2023

Frank Schäfer: Der Rest ist Poesie
nd, 15.8.2023

Volker Weidermann: Letzte Schusswunden
Die Zeit, 16.8.2023

 

 

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Bild von Juliane Duda mit den Texten von Fritz Schönborn aus seiner Deutschen Dichterflora. Hier „Wondratscheke“.

 

Bild von Juliane Duda mit den Zeichnungen von Klaus Ensikat und den Texten von Fritz J. Raddatz aus seinem Bestiarium der deutschen Literatur. Hier „Wondratschek, der“.

 

gero von boehm begegnet… Wolf Wondratschek am 8.7.2003 Teil 1/4.

 

gero von boehm begegnet… Wolf Wondratschek am 8.7.2003 Teil 2/4.

 

gero von boehm begegnet… Wolf Wondratschek am 8.7.2003 Teil 3/4.

 

gero von boehm begegnet… Wolf Wondratschek am 8.7.2003 Teil 4/4.

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