ADVENT
WENN EINE KLOBÜRSTE vor Sehnsucht zittert,
mit ihren Borsten den weißen Hals
der Schüssel berühren zu dürfen,
wenn im Wohnzimmer dem Stadtrat die Zähne
hellgelb strahlen wie Uranerz, frischgewonnenes,
und alle fragen, ob er schon wieder
mit Urin gegurgelt hat, wenn die Schuhe
wie gestrandete Kanus vorm meergrünen Bett
liegen, und schnaubende Fleischwülste
wie Wellenbrecher niederkommen, und Seufzer einhaken
wie Harpunen, dann
ist es die Zeit, dieses Jahrzehnt
zu verlassen.
Wolfgang Dietrich, Gespräch 1984/96
Ein Friedhofsgedicht
Für Wolfgang Dietrich
Ach, dein Haarschopf
gestern noch Milch & Honig
heut schon klebrige Zuckerwatte
und ewig der Kamm drin!
Wozu diese Kosmetik für den Kopf
in dem nur Strophen wohnen
nichts als Gedichte.
Daneben mein Helm
aus dunkelblonden Strähnen
schon ausgefranst
vom langen Schlußverkauf.
Hier sind wir
eingebacken in tausend Plastiktüten
auf einer Friedhofsbank im Grünen.
Hier sind wir
und stoßen die Welt an
diesen runden Grabstein.
Wie die Engel glotzen
steckt man ihnen Hagebutten ins Genick
in die festverschnürten Schenkel.
Unverdrossen füllen silberne Witwen
ihre Gießkanne mit Tränen
schlagen sich täglich ans Kreuz
tunken ihre Blätterteigstirn
in dünnen Schonkaffee
füttern fette Pudel Enkelkinder Elefantenbabies
mit ihrem spinatgrünen Herzen.
Ach, wenn wir soweit sind
so nah am Ziel
graue Jahresringe um die Augen sammeln
und exotische Briefmarken aus Castrop-Rauxel
allein mit dem Diabetikerwein
den blutigen Ravioli aus der Dose
dem Wunschkonzert für Senioren
den offenen Pulsadern
dann treffen wir uns hier
schlagen uns an die Tatterbrust
und feiern den dritten Frühling
hinterm heiligen Holunderbusch.
Amen!
Barbara Maria Kloos
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