GEBET AN MERCEDES
Zwischen ledernen Polsterlippen
sprudelst du Frauen in Pelzen hervor,
heiliger Mercedes,
ein haariges Gleichnis, nicht wahr,
verchromter Christus. Manchmal
überfährst du einen,
rötest die Regenstraße.
Dann hast du Wasser
in Wein verwandelt,
verchromter Christus.
Erzählst ein Wunder
von Aquaplaning,
natürlich, heiliger Mercedes.
Der falsche Blick
Der Unfallflucht
Aus deinen Scheinwerferaugen,
verchromter Christus.
Warum bist du ein Fahrzeug
und gehst nicht zu Fuß,
heiliger Mercedes,
verchromter Christus?
– Wolfgang Dietrichs Gedichtband Vergeltsgott. –
Vor mehr als zehn Jahren schrieb Wolfgang Dietrich, Jahrgang 1957, Gedichte wie „Ins schräge Leben hinein“, „Der Unmut des Erzes“, „Rede an Gott als ein fliehendes Schwein (V. 930-961)“ oder „Wiener Stanzen“, und solche in jeglicher Hinsicht unerhörten Verse gehören zum schönsten, tiefsten und Zornigsten, was die Gegenwartslyrik hervorgebracht hat. Der junge Münchner Doktor, Dichter, Steinmetz und Gelegenheitsarbeiter schreibt wie ein sehr lädierter Erzengel, der in dieses „Mistjahrhundert“ hinuntergeknallt ist, bitterer und massloser als jeder arme Teufel. Der „auf diesem Wasserband dahergerodelt“ kommende Schwan – Ein Lumpengott: „allein wer niederkam / ins Schiefe, sieht in seinem Schrei die Not durchscheinen. // Weich mir nicht aus, Paarhufer Gott: die weisse Beule, / beklebt mit Federn, die da quiekt, ist nicht / jedem bedeutend. Tritt nie mehr so auf…// Ist es vielleicht, Fürst Gott, dass jedem / der lebt leckt stirbt, sein Maul mit Eisen / gestopft ist ohne Ende, und er ausradiert // wird vom Metall, – ist das so abgesprochen? / Wenn das so wär, Fürst Gott, bist du kein guter Fürst. / Ich hilfsarbeite ohne höhere Belehrung.“
Der 18jährige Dietrich scheint noch das dichtende Wunsch-Wunderkind gewesen zu sein, das Delphis Küste mit kostbaren Bildern besingt: „Aus schwarzem Glas sind / die Pferde, die Wellen des Meers, dicht / eins gedrängt vor das andre, / besteigen mit silbernen Mähnen sie / die Küsten, / beknien mit wirbelnden Winden.“ Im Wolkigen hielt sich der aus allen Wolken fallende junge Virtuose nicht lange auf. Schon als 20 jähriger schrieb er seine „Ode an die Berufstätigen“; „Warum nur trifft euch die Liebe, ihr zeitig / zerbröselten Sklaven der Wirtschaft, immer / wie eine Lohnkürzung, wie / ein Urinstrahl, wie ein Versehen?“ Nun immer wieder die Schräglage, das ganz eigenen Ineinandergehen von hohem und niedrigem Ton, von zeitloser Formstrenge mit dem Alltäglichen, dem gerade Gesehenen, den Verwünschungen und Verspieltheiten von einem, der in die Schöpfung verliebt ist, wenn die Sonne scheint, und der, wenn es regnet, an ihr verzweifelt.
Wolfgang Dietrichs Bilder- und vergleichsstrotzende barock-üppige Sprachkraft fusst im Katholischen, im Bayrischen, Bodenständigen – das Schwelgen angesichts der Berge, die sinnenfrohe Naturverbundenheit, in einer Zeit eigenwillig und ohne erkennbares Vorbild gestaltet, als die Landschaft kein Sujet avancierter Lyrik war. Übermütig-überschäumende Naturerfahrung wechselt ab mit exakten Beobachtungen und der Liebe zum Detail, die ihn dazu bringt, im Gedicht zu notieren (wie geräumig seine Poeme sind!), ab welchem Ort die entweder säulen- oder tafelförmigen Kristalle des Feldspats überwiegen und Quarz und Glimmer verdrängen. Auch beim Wandern bleibt das Soziale präsent, vom verbrennen der Pässe bis zum Nutzen der Bodenschätze. Dieser mit Gott hadernde unmoderne Harfenmeister ist sich für nichts zu schade, schaut sich jeden rostigen Nagel ganz genau an und schafft ihm und anderen Zukurzgekommenen Platz in seiner generöseren Schöpfung, die aber ohne Übeltäter und hassenswerte Schuldige auch nicht auskommen kann.
Dietrich hat es im Literaturbetrieb zu kaum was gebracht, und das liegt nicht daran, dass er mit seinen Stanzen, Oden und Elegien zu traditionell daherkäme, sondern eher daran dass er ein tief Enttäuschter, wirkt, als würde er vor nichts mehr haltmachen. Mal stärker und mal schwächer stecken in seinen Versen Abrechnungen, Bombendrohungen, Erpressungsversuche und andere Straftaten mehr, gelegentlich meisterhaft eingebunden in schwierige Formen, mitunter in alttestamentarischer Direktheit:
Stecht alte Keller ab im Rohbau ihrer Macht:
Sie sind ein Ledersack, gespickt mit Augen trüb,
die hart und winzig sind. Die Keiler haben Spass,
sie brunzen auf das Volk. Der Nachwuchs, der ertrinkt,
in ihrer Jauche Strahl und quieckt dabei ganz wild.
Anfang und Mitte der achtziger Jahre war Dietrich ein Geheimtip, er erhielt Fördermittel und wurde in namhaften Sammelpublikationen gedruckt, konnte sich aber genauso wenig wie andere begabte Münchner Autoren seiner Generation, die sich um die Zeitschrift „federlese“ sammelten, durchsetzen. In einer Zeit, die für nonkonforme Schriftsteller besonders ungünstig war, interessierte sich kein Verlag für den genialischen Dichter. Gegen Ende der achtziger Jahre stellte Dietrich das ein, was er am besten kann, das Gedichteschreiben. Das, was er, der nach einem Unfall einen Prozess gegen den Freistaat Bayern führte und durch die Instanzen verlor, der Allgemeinheit geben könnte, behielt er nun – mit Ausnahme des 1992 bei Kirchheim erschienen Prosabandes „Berliner Sterben“ – für sich. Seinen Rang als Dichter kann nach dieser Verweigerungsgeste jeder Interessent in einem noch klareren Licht sehen: denn das sehr überschaubare bisherige Oeuvre verliert im Verlauf der Jahre nu an ganz wenigen Stellen, fast überall trägt dieses unverwechselbare Kraftfeld mit den Koordinaten Himmel und Erde, faszinieren diese pantheistischen Wolkengänge bei knallharter Draufsicht. Bislang war der 1986 bei Dagyeli erschienene Gedichtband „Hauptstadt der Arbeit“ das wichtigste Dietrich-Buch, nun veröffentlichte das Druckhaus Galrev mit „Vergeltsgott“ eine sehr viel bessere Zusammenstellung (leider wurden zwei, drei starke Gedichte nicht übernommen und leider entschied man sich für den irreführenden Untertitel „Gedichte 1975-1992“, die gelegentlich sehr störende Niveauschwankungen dieses überschäumenden Temperaments aus dem öffentlichen Raum nimmt; die von Gebrauchsgegenständen ausgehenden Grafiken Stephan Fiedlers bereichern das Buch. Wieder eine Chance, so gewaltigen Gedichten begegnen zu können wie dem 1981 (!) geschriebenen „Der Unmut des Erzes“:
Wieso dulden wir, dass ihr den Dotter des Goldes, das Erz hervorzerrt?
Knirscht’s nicht im Schacht: Ihr macht aus mir Waffen, dann bring ich euch um.
Durchsichtige Plättlein presst ihr aus mir, und Millionen Botschaften
Werden hineingraviert. Wenige Näher der Platten
Leben davon und Entziffrer der Codes, indes eure Kinder
irrn herum ohne Arbeit und schlitzten den Staat auf vor Wut, dafür sorg ich.
Krempelt sie um wie Socken, die Alpen, bald fällt nichts mehr raus.
Entrindet die Gebirge, stampft sie zurück ins plastische Herz der Erde.
Habt ihr nicht aus Beton schon den Eiern die Schale gegossen,
so dass der Kuckuck sogar das Stehlen verlernt, beleidigt,
dass sich, köpfend das Ei, die gediegensten Löffel verbiegen?
Harkt ihr nicht schon vom Himmel mit geizigen Rechen die Wolken,
dass sich die Flugzeuge ja nicht die zarten Flügel verstauchen.
Dünstet doch eure Tanker im eigenen Sud, und verschlingt den
gebratenen Schrott, sogar eure Väter, die Geier weinen,
wo Öl ihren Schwung lähmt und Schnabel –
Wer solche Gedichte zu schreiben vermag, der verdient öffentliche Anerkennung, vielleicht Bewunderung, zumindest die Bereitstellung materieller Mittel, seine Arbeit unter menschenwürdigen Bedingungen fortsetzen zu können als jemand, der von sich weiss, dass er heikel ist: „Warum muss ich immer / die bulligen Berge boxen / und in die Handtücher der Taler fallen / wie zu heiss gebadet. // Warum bin ich dein Hahn, Gott, / muss dauernd die Welt bewachen, / den Hof, der nichts bringt?// (…) // Warum muss ich immer auf Türme hinauf ohne Lohn, / den Ausguck machen, / allen melden, wer kommt? // Warum bin ich einfältig, Gott / Wenn ich einen See betrachte, / will ich ihn reiben, / dass er besser glänzt // Warum bin ich heikel? / Alles schwappt in mich herein / wie in die Muschel Wasser // Sags mir, warum bin ich so schräg / ins Leben hineingeweht – / meine Grossmutter erntete Hopfen.“ Die Ignoranz und das Achselzucken, mit der diese Ausnahmeerscheinung übersehen und übergangen wird, ist beschämend.
Dieter M. Gräf, Basler Zeitung, 23.6.1995
Selbstverständlich könnten wir die von Wolfgang Dietrich gepflegten Versmaße und lyrischen Formen herzählen. Aber sie haben ja einen Grund, immer denselben in jeder wesentlichen Dichtung; der durchaus zu benennen ist:
Das Auswendige, das ab und an fetzenhaft, als ein zweizeiliger Fetzen, ins Gedächtnis stößt, das in- und auswendig zu Lebende; das aus der Provinz in die Gedanken-Welt Zerstreute (weil es dort so grad nicht mehr raus- und reingeht, wie einst im Reich), das aus dem Sinnesbewußtsein Eliminierte, ist in der Heftigkeit, die wir nur aus dem süddeutschen, was vielleicht aus der schönen Differenz von Sprechen, Sprache und Schrift herkommt, in den Gedichten von Wolfgang Dietrich einem Implodieren nahe, das allein durch die Strenge, den klassischen Gestaltwillen der Materien gegen die Elemente, standhält.
A.B. Costa
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