DER ZUFALL.
GEDICHT ZU MEINEM 60. GEBURTSTAG
So viel der Guten hab ich überlebt – Erbarmen!
Daß ich mir Jahre nahm die ihnen zur Vollendung
aaaaafehlten –
so viele Todesstunden überstand ich und aus keiner
hinterblieb ich weise
aaaaaaaaaaaa aaaaaaniemals lernt ich draus
aaaaaauf meiner Bahn.
Nicht ich bin einer jener nachtverwehten Armen
die tauben Ohrs die Welt verließen schweißbedeckt und kalt
die Oberwelt:
aaaaaaaaa aabin keiner dieser schönen allzu früh Entseelten –
ich blieb zurück und nach mir schlug der Wahn…
auch er schlug fehl: ich bin des Zufalls schiere Ungestalt –
und nun müßt Ihr mich überstehn: erbarmt euch meiner!
Ich habe allzulange von ihm so gesprochen, als ob das, was er schreibt, nur Philosophie sei… und viel zuwenig von dem, was den Dichter macht. Diesen Dichter, der ein Arbeiter ist und mit der Wucht der Elemente wie mit der von Haar und Traum umgeht und die Würde der Gattung Mensch auch in der Latrinenlandschaft bewahrt; ein großes Kind, das mit den Meeren spielt; ein Trunkener, der Arm in Arm mit Rimbaud und Novalis aus dem Kesselhaus durch die Tagebauwüste in eine Auenholz zieht, dort Gedichte zu träumen, darin Alltag und Vers sich vereinen.
Franz Fühmann
Hilbigs Dichtung wirft in das grauenerregende Nichts, das uns umgibt, ein flüchtiges Licht, einen poetischen Abglanz des Himmels, einen Funken Sprache, die gegen die Finsternis anspricht, aus der wir stammen und in der wir wieder versinken werden. Seine pathetisch dunkle, ganz der Inspiration geschuldete Lyrik braucht der Vergleich mit Rimbaud, Lautréamont, Georg Heym und selbst mit Hölderlin nicht zu scheuen.
Michael Buselmeier
Ich war einem Menschen begegnet, der außer sich war, einem Menschen, dessen Bodenlosigkeit durch den Wechsel der Welten eskaliert war und der unaufhaltsam auf ein Desaster zuzusteuern schien.
Natascha Wodin
Hilbigs Genie läßt die Abwesenheit erblühen, verwandelt die unerhörte Fremde eines grausam oder schäbig oder einfach nur zu Naheliegenden in die handhabbare Distanz seiner Sprache.
Uwe Kolbe
Zwischen Kriegerwitwenmutter und analphabetischem Großvater am apokalyptischen Rand der mitteldeutschen Kohlegruben aufgewachsen, steckte Wolfgang Hilbig von Kind an in Schlamm und Schlamassel. Eine Lehre als Dreher und das Sprungbrett des Boxrings endeten im nächtlichen Heizungskeller, der ihm zur Lese- und Schreibstube wurde. Zeit seines an Aufschwüngen und Abstürzen reichen Daseins erlebte der störrische Autodidakt beides: dichterische Höhenflüge wie das selbstzerstörerische Elend eines alkoholgebeutelten Lazarus, das ihn nicht hinderte, die dunkelsten und zugleich kraftvollsten Verse seiner Generation aus sich herauszuschleudern.
MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2009
Herlinde Koelbl: Herr Hilbig, Ihre Handschrift auf dem Manuskript ist sehr klein. Hat sie sich im Laufe der Zeit verändert?
Wolfgang Hilbig: Ich habe das Gefühl, sie wird immer kleiner und unsicherer. Es liegt vermutlich daran, dass ich früher, als ich noch als Heizer in der Metallindustrie tätig war, in den Pausen während meiner Arbeitszeit geschrieben habe. Da musste man möglichst kleine Zettel haben und möglichst viel auf wenig Raum unterbringen. Vielleicht ist mein Schriftbild daher geprägt – dicht zusammendrängend und möglichst alle Räume auf dem Papier ausnützend.
Koelbl: War es schwierig, neben der Arbeit als Heizer zu schreiben?
Hilbig: Das war es, weil ich praktisch in zwei verschiedenen Formen des Daseins lebte, zwischen denen ich ständig lavierte; im Betrieb musste ich eine ganz andere Existenz führen als am Schreibtisch. Das hat sich so aufgetrennt, dass ich es als eine vollkommene Spaltung empfand. Ich habe mich in dieser Doppelexistenz eingelebt.
Koelbl: Und wie haben Ihre Kollegen auf diese Doppelexistenz reagiert?
Hilbig: Man wird zu einer Art Eigenbrötler. Aus dem sozialen Leben nach der Arbeitszeit habe ich mich ausgeklinkt, habe diese Einbußen in Kauf genommen. Außenseiter im Arbeitsumfeld sind nicht sehr beliebt. Das hatte in der DDR meistens auch politische Hintergründe. Außenseiter sind in einem solchen Fall gefährlich, denn sie könnten auch Zuträger der Staatsmacht sein.
Koelbl: Wie kommt man selber mit dieser Doppelexistenz zurecht?
Hilbig: Man kommt eigentlich nicht damit zurecht. Man kann es höchstens bewältigen, indem man es zum Thema des Schreibens macht. Schwierig wurde es, als ich freischaffender Schriftsteller wurde. Da fiel die eine Daseinsform weg. Ich geriet plötzlich als Autor in Beweisnot, musste meine ganze Existenz auf das Schreiben richten: Es wurde auf einmal zur existentiellen Notwendigkeit. Das spürte ich als starken Druck. Früher hatte ich nur für mich geschrieben – da war es gleichgültig, ob etwas fertig wurde oder liegen blieb, das entschied ich allein.
Koelbl: Heute können Sie sich die Zeit mehr oder minder frei einteilen. Wann schreiben Sie am liebsten?
Hilbig: Ich bin den ganzen Tag auf der Suche nach dem Moment, in dem ich schreiben kann. Ich muss unbelastet sein von allem möglichen Krempel, der zu erledigen ist. Nachts ist so eine Zeit, in der man freier ist, nicht abgelenkt werden kann. Manchmal fange ich nachts um zwölf an, manchmal erst um drei Uhr. Dann versuche ich, so lange zu schreiben, bis es nicht mehr geht. Auf eine Endzeit zuschreiben fällt mir nicht so leicht. Mein Ideal wäre Thomas Mann, der ab neun Uhr vormittags drei Stunden schrieb und am Nachmittag seine Korrespondenz erledigte und seine Verpflichtungen erfüllte. Ich bin dagegen jemand, der schlecht einschläft, aber dann nicht wieder aufwachen kann. Nach dem Aufstehen brauche ich erst eine gewisse Zeit, um zu mir zu kommen. Da habe ich meine Gedanken nicht beisammen. Meistens komme ich erst mittags in die Gänge.
Koelbl: Sie sind bei Ihrer Mutter und den Großeltern aufgewachsen. Ihren Vater haben Sie nie kennen gelernt. Hat der Umgang mit Frauen Ihr Verhalten geprägt?
Hilbig: Mein Vater ist bei Stalingrad geblieben. Er wurde mir nur als eine Art Abziehbild beschrieben, natürlich aus der Sicht der Frauen. Damit konnte ich nicht viel anfangen. Ich glaube, dem weiblichen Geschlecht gegenüber verhalte ich mich unsicher. Mein Blick fiel von Kindheit an dauernd auf Frauen, und sie waren die Figuren, die ich in meinem Kopf gewälzt habe. Von dieser Seite kamen die Anforderungen, die auf mich einstürmten. Man sollte etwas erreichen oder anständig sein. Und natürlich intelligent sein und höflich. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals Absichten hatte, im Leben irgendeinen Aufstieg zu nehmen.
Koelbl: War Ihr Schreiben eine Auseinandersetzung mit diesen Anforderungen? War es die Suche nach Anerkennung? Nach Liebe?
Hilbig: Die Suche nach Liebe ist wahrscheinlich der Urgrund des Schreibens. Ich schreibe auch aus diesem Grund. Oder, präziser gesagt, um Zustimmung zu ernten.
Koelbl: Haben Sie mit Ihrem Schreiben bei Frauen Zustimmung gefunden?
Hilbig: Das weiß ich eigentlich nicht genau. Das bleibt immer nur eine Vorstellung. Wenn man mit dem Schreiben Zustimmung erlangen will, dann sucht man sie natürlich in erster Linie beim anderen Geschlecht. So ist der Mensch veranlagt. Also schreibt man meist für Frauen. Auch Majakowski kommt in seinen frühen Gedichten ganz deutlich zu dieser Aussage. Und da man inzwischen weiß, dass Frauen mehr lesen als Männer, muss man annehmen, dass man mehr von Frauen gelesen wird.
Herlinde Koelbl: Schreiben!. 30 Autorenporträts, Knesebeck Verlag, 2007
– Gespräch mit Peter Geist. Peter Geist, geboren und aufgewachsen in Leipzig, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Er lebt und arbeitet in Berlin. –
Karen Lohse: Wie sind Sie auf Wolfgang Hilbig aufmerksam geworden?
Peter Geist: Ich gehörte Mitte der 70er Jahre zu einem Kreis junger Intellektueller, die sich jeden Montag in der Wohnung von Lutz Nitzsche-Kornel trafen, um einander eigene Texte und literarische Fundstücke vorzulesen, Musik zu hören, Verrücktheiten zu unternehmen und ein 68er Feeling im tiefsten Osten zu durchschmecken. Einige der Gefährten, auch der Hausherr selbst, kamen aus Meuselwitz und verbreiteten die Saga, dass es dort einen Heizer gebe, der explosive literarische Texte verfasse und schon mehrere tausend Seiten für die Schublade produziert hätte. Dementsprechend gespannt waren wir, diesen Heizer kennenzulernen.
An die erste richtige Begegnung mit Wolfgang Hilbig kann ich mich noch sehr genau erinnern: Ich hörte ihn 1976 bei einer Lesung in der Wohnung und war sofort von der Wucht der Bilder, der funkelnden Dunkelheit seiner Sprache tief beeindruckt. Es war ein Moment erschütternder Plötzlichkeit mit weitreichenden Folgen für meine Auffassungen von Poesie. Ich lernte Hilbig also erst einmal über seine Texte kennen. Innerhalb unseres Kreises trafen wir uns des Öfteren auch am Wochenende, sind gewandert, es wurden unangemeldete Festivals etwa in Steinbrüchen unweit von Leipzig zustande gebracht und ähnliche Dinge. Begegnungen mit Wolfgang prägten sich, gerade weil er immer auf eine wunderbare Weise präsent war, ins Gedächtnis, bis ins Anekdotische. So stürmten während meines Grundwehrdienstes 1980, als ich beim „Ausgang“ zu einer Fete des Kreises beim Kleiderwechsel zur Rückkunft in die Kaserne meinen Wehrdienstausweis in meinen Zivilklamotten beließ und mit einem Militär-LKW darob zurückgefahren wurde ihn einzuholen, die trunkenen Freunde zu meinem Entsetzen das verhasste Militärobjekt. Sie hatten dann zwar ein Einsehen mit mir und der Militärgewalt, allein Wolfgang war schon auf der Ladefläche eingeschlafen und erwachte am nächsten Morgen innerhalb des militärischen Objekts der Olbricht-Kasernen Leipzig-Nord. Was er dann wahrnehmen musste, konnte seine Sicht aufs Grosteske und Unheimliche seiner, unserer Existenz nur befördern.
Wolfgang war nie ein besonders gesprächiger Mensch. Wir haben durchaus manche Abende fast schweigend in der Kneipe verbracht. Dann gab es wieder Momente, in denen er sehr schwungvoll pointenreiche Geschichten erzählen konnte. Über Wolfgangs Kontakte zum S. Fischer Verlag gelangten übrigens etliche Gedichtbände von Autoren in Umlauf, die in der DDR nicht präsent waren, zum Beispiel Rolf Dieter Brinkmann oder Wolf Wondraschek, über die dann heftigst diskutiert wurde.
Lohse: Hilbig war knapp 20 Jahre älter als Sie und viele andere in Ihrer Gruppe. Außerdem hatte er einen anderen Hintergrund durch sein Herkunftsmilieu und seine Arbeit als Heizer. Fiel er dadurch besonders auf, wurde er anders behandelt?
Geist: Wolfgang fiel auf, aber nicht durch seinen Arbeitshintergrund. Viele der Leute aus unserem Kreis schlugen sich mit den verschiedensten Jobs druch – Lutz Nitzsche arbeitete eine Zeit lang im Wildpark, Igel arbeitete bei der Blutspende, Thomas Böhme als Bibliothekar, alles Jobs nach abgebrochenen Integrationsversuchen in die Gesellschaft mittels Studium. Der Unterschied zu Hilbig bestand darin, dass Thomas Böhme und Jayne-Ann Igel noch am Anfang ihrer Lyriker-Laufbahn standen und ihren Weg suchten. Hilbig dagegen trat uns als vollkommen fertiger, hoch imposanter Dichter entgegen. In diesem Sinne wurde ihm schon ein besonderes Maß an Aufmerksamkeit und Achtung zuteil. Zugleich war er immer kollegial, freundschaftlich und neugierig auf die Erfahrungen und Texte von uns Jüngeren. Es tat sich nie eine Generationenkluft zwischen uns auf. Der Umgang mit ihm war erst einmal völlig unkompliziert. Später versuchte er immer wieder, die Kontakte, die er hatte, auch anderen zu vermitteln. Einmal brachte er sogar Franz Fühmann mit in die Wohnung von Lutz Nitzsche- Kornel.
Lohse: Hilbig ist 1978 für knapp vier Jahre nach Berlin gezogen. Blieb der Kontakt zur Leipziger Szene in dieser Zeit bestehen?
Böhme: Wenn er nach Meuselwitz zu seiner Mutter fuhr, hat er oft in Leipzig Zwischenhalt gemacht. Die Verbindung ist nie abgerissen. Auch in der Zeit, in der er in der Bundesrepublik lebte, tauchte er überraschend in Leipzig auf. Das Café Corso, der legendäre Treffpunkt vieler Künstler in Leipzig, war so ein Ort, wo man sich begegnen konnte.
Lohse: In seinen Texten beschrieb er sehr intensiv die Verwüstungen in der Landschaft und in den Menschen. Hat er darüber eine politische Aussage transportiert?
Geist: Wolfgang trug nie eine vordergründig dick aufgetragene Opposition zur Schau. Es war eher ein grundlegend gestörtes Weltverhältnis, das ihn umtrieb und in seinen Texten Sprachgewalt erlangte. Er verbindet darin zwei Aspekte miteinander: Einerseits eine prinzipiell moderne Kritik an einer Industriegesellschaft, die den Menschen nur in seiner instrumentellen Zurüstung wahrnimmt, andererseits ist es der Zugriff auf etwas Darunterliegendes, etwas Archaisches, was sich oftmals nur in Trauer, Absurdität und Verzweiflung äußert. Das ist auch der Grund, warum er nach der Wende völlig zäsurlos weiter schreiben konnte. Er hätte auch auf Feuerland schreiben können und seine Texte wären nicht maßgeblich anders gewesen.
Lohse: Was an Hilbig immer wieder fasziniert, ist die ungelöste Frage, wie dieser aus bildungsfernen Schichten stammende Autodidakt wusste, was gute Literatur ist.
Geist: Zum einen durch ein rational nicht zu erklärendes Gespür für gute Literatur. Zudem waren Bücher in der DDR billig, und die Hausgötter Wolfgangs waren noch in der abgeschiedensten Provinz in Bibliothek und Buchhandlung zuhanden: Poe, Baudelaire, Novalis. Hilbigs Credo war immer: Ich orientiere mich an dem Besten der Weltliteratur. Zum anderen war bei ihm der unbedingte Wille vorhanden, sich selber aus dem Dreck zu ziehen. In einer weitgehend egalitären Gesellschaft wie der DDR-Gesellschaft gab es auch größere Durchlässigkeiten zwischen den Schichten, zuweilen über skurrile Wege. Die Begründung schriftstellerischer Existenzen wie die etwa von Werner Bräunig, Uwe Greßmann und eben Wolfgang Hilbig hängt auch mit dieser Gegebenheit, bei allem entscheidenden Eigensinn, zusammen. Außerdem hatten wir in der DDR ein ganz anderes Zeitvolumen als heutzutage, eine allgemeine Langsamkeit, die viel Platz für Lektüre und ungefragte Reflexion bot.
Aus Karen Lohse: Wolfgang Hilbig. Eine motivische Biografie, Plöttner Verlag, 2008
LUFTWAFFE*
Wolfgang Hilbig war taub
doch sein blues geht noch um
der elektrische rundgesang aus dem tertiär
ein geheul so wie sturm heult und wölfe
das faucht wie der gischt auf den
länderzerbrechenden wellen,
Wolfgang Hilbig war roh
und die welt eine walze aus missmut
wo tiere den schnee feiern und überdauern
die tiere durchwandern die ängste in zimmern
ganz einfache selbst und die welt hat
den walzer erfunden,
Wolfgang Hilbig war klug
bloss das lachen verkriecht sich
es war nicht so leicht wie gedacht von den wächtern
des schweigens der bronzen auf tönernen füssen
nicht leicht für den mann der im recht lebt
und gift streut und gold,
Wolfgang Hilbig war sanft
es gab ärger mit ihm aus ersehnterer liebe
die mehrzahl der ernten verendet in schallrauch
da wünscht man dem ganzen den hass auf den hals
nur der hass bringt den lichtstreif der frühe
die quelle kennt keiner,
Wolfgang Hilbig war schwer
die migranten der sinnlosigkeit halten durch
in den wolken die immer so scheu sind und erst im gebirge
sich äussern da sind sie schon weit aus dem spektrum
und dunkel von scham glänzt der steg,
Wolfgang Hilbig war leicht
mannigfaltige herzen bezeugen die fälschung
noch tief in den schüsseln der scheppernden anstalt
dann fliehen sie sich zu umarmen
dann laufen sie weg.
* Es handelt sich in Wahrheit um die Tatsache, dass Wolfgang Hilbig ein Liebhaber und Bewunderer der britischen Rockband Air Force war.
Ulrich Zieger
für w.h. und u.z.
als die dichter noch lebten
ertrugen die menschen sie nicht
nicht ihre nächte nicht ihre dunkelheiten
und die umverteilung des lichts ihren rausch die exzesse
die aus den texten überliefen in die städte hinein
in häuser keller wohnungen schwarz angefüllt
war das papier schamlose schmähschrift
in glanz und schmutz asche und salz
die frauen am rand inmitten der geschichten
im leben ergeben sie hielten im tod noch
die hand hin (als wäre da hochzeit zu halten
für länger) und behielten die treue für sich
und die worte –
ihr aber die ihr nicht versteht und urteilt
mit unsanfter zunge verschont sie
mit euerm geschwätz lasst sie in ruhe bis die winde
wiederkommen und die seiten aufschlagen
ihrer bücher und zurückblättern zum anfang
der eintrübung aufruhr
Kristin Schulz
NEKROLOG FÜR W. H.
„War die grube nicht dort, hinter dem schossergrün
aaaaajunger espen?“ – Du irrst: dort, als der kokerei
aaaaaaaaaaabgewürgt war der atem,
aaaaaaaaaaaaaaaastand noch immer das späte dorf,
stands, versalzen mit ruß, aber der bagger biß
aaaaavor dem ersten gehöft damals ins gilbe gras.
aaaaaaaaaaNun ist alles geebnet,
aaaaaaaaaaaaaaaglänzt die fläche wie zuckergruß.
Übern krater gespannt schwärzlich die wasser, schwarz
aaaaadurch das schwere geweb schimmert die kohle noch
aaaaaaaaaaund erinnerung: was wärmte
aaaaaaaaaaaaaauns, geworden ist’s unbrauchbar.
Nämlich sagten wir einst: irgendwas muß doch sein
aaaaaunterm krustigen dreck, irgendwas, irgendwo…
aaaaaaaaaaAlso wühlten verbissen
aaaaaaaaaaaaaaawir in ahnung des fehlbetrags.
Hoffnungsloser nicht sind jene, die folgten uns,
aaaaasondern tiefer verlorn, da sie schon längst nicht mehr
aaaaaaaaaaall den mangel bemerken:
aaaaaaaaaaaaaaaleidlos sind sie!: sie tun mir leid.
Nur den äußeren schmerz prügeln sie noch sich ein.
aaaaaAuf den halden ringsum zieht die genügsamkeit
aaaaaaaaaalippenblütler mit namen
aaaaaaaaaaaaaaaschöllkraut, taubnesssel, löwenmaul,
und im tagebau-see zeigt sich atlantis nicht
aaaaadem, der taucht in die flut. Aber wer drin ertrank,
aaaaaaaaaader kann trunken da drunten
aaaaaaaaaaaaaaatrudeln erleichtert straßauf, straßab
wie ein mann, der entkam abends dem dreck des werks,
aaaaaalso fröhlichkeit kennt. Aber wo ist ein grün
aaaaaaaaaaüber allem, ist’s nirgends,
aaaaaaaaaaaaaaaund kein sonntag dem, der nichts tut.
Steine sitzen am strand, wissende greise. Scheu
aaaaarollen wellen heran, land-ertastender herbst.
aaaaaaaaaaUnd die kiesel, die nassen,
aaaaaaaaaaaaaaarascheln, rascheln wie trocknes laub.
Andreas Reimann
Pauline de Bok: Der Mann aus Meuselwitz. Prosa und Lyrik von Wolfgang Hilbig – Kommentar und Übersetzung
Leben habe ich nicht gelernt. Jürgen Holtz liest Texte von Wolfgang Hilbig aus Anlass des ersten Todestages von Wolfgang Hilbig. 5. Juni 2008. Eine Veranstaltung der Galerie auf Zeit – Thomas Günther – in Zusammenarbeit mit den Tilsiter Lichtspielen Berlin-Friedrichshain.
Hilbigs Moderne. Auf die Suche nach den Quellen und Gesichtern von Hilbigs Moderne gehen: die Schriftsteller Peter Wawerzinek (Unangepasstheit als Lebensprogramm) Ingo Schulze (poetische Traditionen), Dieter Kalka (Moderator), Sebastian Kleinschmidt (Hilbigs Lesebiografie – seine Quellen der Moderne), Clemens Meyer (Nacht-Topos bei Hilbig)
Herr Hilbig, bitte Platz nehmen in der Weltliteratur! Mit der Schriftstellerin Katja Lange-Müller (Hilbigs singuläre Poetik), den Schriftstellern Clemens Meyer (Wirkungen in anderen Ländern, von den USA bis Italien), Ingo Schulze (poetischer Anspruch vs. Mainstream), Peter Wawerzinek (Chancen für poetische Eigenart heute), Alexandru Bulucz (Hilbigs Poetik – Fortsetzung bei den Jungen) und dem Verleger Michael Faber (Verlegerfahrungen mit einem Dichter), moderiert von Andreas Platthaus
Wolfgang Hilbig Dichterporträt. Michael Hametner stellt am 3.11.2021 in der Zentralbibliothek Dresden den Dichter vor. Mit dabei am Bandoneon Dieter Kalka.
Helmut Böttiger: Hilbig – die Eigenart eines Dichters. Geburtstagsrede auf einen Achtzigjährigen
Vitrinenausstellung und Archivsichtung „Der Geruch der Bücher – Einblicke in die Bibliothek des Dichters Wolfgang Hilbig“ am 3.6.2022 in der Akademie der Künste
Gesprächspartner: Karl Corino, Peter Geist, Thomas Böhme
Moderation: Hajo Steinert
Gespräch und Lesung I – Thomas Geiger spricht mit Wolfgang Hilbig über seinen Werdegang, der Autor liest Gedichte aus dem Band abwesenheit.
Gespräch und Lesung III – Gespräch über die Auswirkungen von Hilbigs Stipendienaufenthalt in Westdeutschland 1985, anschließend liest er aus seinem Roman Ich.
Gespräch IV – Thomas Geiger fragt Wolfgang Hilbig, ob er sich von der Staatssicherheit bedrängt fühlte, anschließend führt Hilbig in die Lesung ein.
Gespräch V – Wolfgang Hilbig berichtet von seinen Bemühungen in der DDR an bestimmte Literatur zu gelangen.
Ralph Rainer Wuthenow: Anwesend!
Die Zeit, 30.8.2001
Helmut Böttiger: Des Zufalls schiere Ungestalt. Gespräch
Der Tagesspiegel, 31.8.2001
Welf Grombacher: Ein Jongleur der Elemente
Rheinische Post, 31.8.2001
Horst Haase: Weisheit eines Geplagten
Neues Deutschland, 31.8.2001
Richard Kämmerlings: Geschichte und Geruchssinn
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.8.2001
Gunnar Decker: Der grüne Fasan
Neues Deutschland, 31.8.2006
Christian Eger: Der Mann, der aus der Fremde kam
Mitteldeutsche Zeitung, 31.8.2006
Jayne-Ann Igel: Das Dunkle oder Die Vordringlichkeit von Tatsachen
der Freitag, 31.8.2011
Ralph Grüneberger: Heute vor 70 Jahren wurde Wolfgang Hilbig geboren
Dresdner Neueste Nachrichten, 31.8.2011
Hans-Dieter Schütt: „Vom Grenzenlosen eingeschneit“.
Neues Deutschland, 2.6.2008
Jörg Schieke: eisiger regen fressende kälte
MDR, 30.8.2016
Christian Eger: Schriftsteller Wolfgang Hilbig „In Deutschland gibt es keine Dichter mehr“
Mitteldeutsche Zeitung, 1.9.2016
Beulenspiegels literarische Irrf-Fahrt 4: Wolfgang Hilbig zum 75. Geburtstag
machdeinradio.de, 2.9.2016
Wilhelm Bartsch: Am Ereignishorizont von Wolfgang Hilbig
Ostragehege, Heft 87, 5.3.2018
Clemens Meyer: „Diese Sprache schneidet mich regelrecht auf!“
MDR, 2.6.2017
Eine Wanderung zum 11. Todestag von Wolfgang Hilbig durch seine Geburtsstadt.
Internationales Wolfgang-Hilbig-Jahr 2021/22
Eberhard Geisler: 80. Geburtstag von Wolfgang Hilbig – Paul Celans Bruder
Frankfurter Rundschau, 30.8.2021
Nils Beintker: Einer, der sich nicht duckte: Wolfgang Hilbig
Br24, 30.8.2021
Karsten Krampitz: Als einer den Wessis von der DDR erzählte
der Freitag, 31.8.2021
Wilhelm Bartsch: Warum die Dichtkunst von Wolfgang Hilbig wesentlich für das Werk von Wilhelm Bartsch war
mdr Kultur, 31.8.2021
Ralf Julke: Die Folgen einer Stauseelesung: Am 31. August wird die Gedenktafel für Wolfgang Hilbig enthüllt
Leipziger Zeitung, 29.8.2021
Cornelia Geißler: 80 Jahre Wolfgang Hilbig: Botschaften über die Zeiten hinweg
Berliner Zeitung, 31.8.2021
Cornelia Geißler: Hilbigs Flaschen im Keller und die Schrift an der Wand
Berliner Zeitung, 2.9.2021
Frank Wilhelm: Ein unbeugsamer Poet ließ sich nicht verbiegen in der DDR
Nordkurier, 1.9.2021
Constance Timm: Versprengte nacht – Wolfgang Hilbig zum 80. Geburtstag
MYTHO-Blog, 31.8.2021
Helmut Böttiger: Giftige Buchstaben, brütendes Moor
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.12.2021
Katrin und Volker Hanisch: Gespräch über Wolfgang Hilbig
Literaturland Thüringen auf Radio Lotte, 3.8.2021
Vor 15 Jahren starb Wolfgang Hilbig. Eine Kalenderblatterinnnerung von Thomas Hartmann
Wolfgang Hilbig. Die Lyrik. Anja Kampmann, Nico Bleutge und Alexandru Bulucz erforschen im Literarischen Colloquium Berlin am 4.10.2021 in Lesung und Gespräch den lyrische Kosmos des Autors.
Claudia Rusch: How does it feel?
Neue Rundschau, Heft 2, 2008
Christian Eger: Im Abseits arbeiten
Mitteldeutsche Zeitung, 4.6.2007
Sebastian Fasthuber: Wolfgang Hilbig 1941–2007
Der Standard, 4.6.2007
Christoph Schröder: Wie sich das Ich auflöst
Frankfurter Rundschau, 4.6.2007
Uwe Wittstock: Wolfgang Hilbig-Wegweiser ins Unwegsame
uwe-wittstock.de
März, Ursula: Als sie noch jung waren, die WindeDie Zeit, 14.6.2007
Uwe Kolbe: Eingänge, Zugänge, Abgänge
Michael Buselmeier (Hrsg.): Erinnerungen an Wolfgang Hilbig, Der Wunderhorn Verlag, 2008
Günter Gaus im Gespräch mit dem Schriftsteller Wolfgang Hilbig. Aus der Reihe Zur Person, gesendet am 2. Februar 2003
Jan Wagner: Lob des Spreewals
Der Tagesspiegel, 11.6.2016
Stefan Sprenger: Dass der Mensch der Stil sein möge
Sprache im technischen Zeitalter, Heft 218, Juni 2016
Richard Pietraß liest am 4.5.2018 für planetlyrik.de die 3 Gedichte „Hundewiese“, „Klausur“ und „Amok“.
Schreibe einen Kommentar