– Zu Alfred Lichtensteins Gedicht „Montag auf dem Kasernenhof“ auf Alfred Lichtenstein: Gesammelte Gedichte. –
ALFRED LICHTENSTEIN
Montag auf dem Kasernenhof
Die Hitze ist ganz klebrig an Gewehr und Hand.
Sie sticht die Augen aus. Kein Ding blieb unbesonnt.
Die Mannschaft trieft, noch halb betrunken, in dem Brand.
Starr stehen die Unteroffiziere vor der Front.
Die grelle Erde ist ein totes Karussell.
Nichts regt sich auf. Nichts stürzt. Kein bunter Himmel fliegt.
Sehr selten nur zerreißt ein heiseres Gebell
Die blaue Sau, die auf den Steinbaracken liegt.
Jetzt tut man mir nichts mehr beim Militär.
Wer achtet noch auf mich. Man hat sich längst gewöhnt
An meine sonderbaren Zivilistenaugen.
Beim Exerzieren bin ich halb im Traum
Und auf den Märschen mache ich Gedichte.
Doch kommt ein Krieg. Zu lange war schon Frieden
Dann ist der Spaß vorbei. Trompeten kreischen
Dir tief ins Herz. Und alle Nächte brennen.
Du frierst in Zelten. Dir ist heiß. Du hungerst.
Ertrinkst. Zerknallst. Verblutest. Äcker röcheln.
Kirchtürme stürzen. Fernen sind in Flammen.
Die Winde zucken. Große Städte krachen.
Am Horizont steht der Kanonendonner.
Rings aus den Hügeln steigt ein weißer Dampf
Und dir zu Häupten platzen die Granaten.
Das Gedicht wurde am 10. Juni 1914 geschrieben. Der Dichter war Soldat, Einjähriger in einem Infanterieregiment. Er war das seit einem Jahr. Er war es nicht gern, ein Zivilist; aber man mußte Soldat sein, es war üblich. Das Jahr war um. Es war überstanden. Er hoffte, frei zu sein. Und der sich in Gedichten Kuno nannte, schrieb:
Der Kuno geht, der Kuno kommt nicht wieder.
Es sollte sein Abschied von der Kaserne sein. Für immer. Da wurde der österreichische Thronfolger ermordet. Das Tor der Kaserne, eine Falle schnappte zu. Der Krieg brach aus. Der Kaiser brauchte Soldaten.
Alfred Lichtenstein war Berliner. Seine Garnison war in der bayerischen Provinz. Er sehnte sich nach den Kaffeehäusern des Kurfürstendamms, dem literarischen Gespräch, den kleinen Zeitschriften, die so aufregend waren und einen druckten. Lichtenstein gehörte zu den jungen dichtenden Expressionisten, die zwischen 1908 und 1918 der deutsche Geist waren, den sie wandeln wollten. Ihr Nachruhm lebt in den Literaturgeschichten und ein paar Anthologien, die Jünglinge und alte Männer lesen. Der Dichter kam ins Feld. Er dichtete:
Vielleicht bin ich in dreizehn Tagen tot.
Am 25. September 1914 ist er bei Reims gefallen.
Mich rührt dies alles sehr. Das Gedicht „Montag auf dem Kasernenhof“ ist kein Kriegsgedicht. Es ist auch keine Antikriegsdichtung. Noch war Friede. Der Dichter kannte den Krieg noch nicht. Der Krieg war ein Phänomen seiner poetischen Kraft. Sein Gedicht war wahr. Der Montag auf dem Kasernenhof ist der Alltag der Rekruten.
Es ist das Lied einer Misere. Vom Zwang sind alle Sinne getroffen. Die Sonne ist erbarmungslos und wird erbarmungslos genannt. Die Sonne sticht die Augen trocken und näßt die Hand am Gewehr. Der Kasernenhof, wo er auch liegt, ist die Wüste. Es ist das wüste Land, das Eliot später entdeckte. Das Wasser wird aus den Körpern gesogen, gefiltert durch Tuch, Leder und Metall. Es ist der Gestank der Ananke. Es ist fast schon eine Vergasung. Die strammen Unteroffiziere sind des Dienstes Mumien. Starre Totenpfähle stehen sie vor dem angetretenen Glied. Himmel und Erde ein Stilleben, eine tote Natur. Nichts rührt sich. Ein Hauptmann hat sich der Schöpfung bemächtigt. Die Weltuhr ist kaputt.
Der Dichter ist beiseite getreten. Erst haben sie ihn gequält. Er erwies sich als nicht faßbar. Er erinnert sich, etwas sentimental, seiner „sonderbaren Zivilistenaugen“, Sie störten, sie vermenschlichten den Betrieb. Und wenn Lichtenstein sagt, das Militär habe sich an seine Augen gewöhnt, dann triumphiert ein neues Selbstbewußtsein. Der Dichter konnte nicht geschliffen, nicht gedemütigt werden. Er marschierte, aber er wandelte im Traum. Es ist die älteste Rettung der Gefangenen. Die Wärter schimpfen und rufen ihre Flüche ins Nichts. Sie stehen vor dem invisible man.
Dann kommt ein Krieg! Die große Symphonie des Expressionismus, hier der Paukenschlag, der Schlußakkord des Gedichts, der Krieg, des Dichters Ahnung, seine Prophetie. Zerhackt der Mensch, die Welt vernichtet. Das sah er, der in den Krieg mußte. Das beschwor er herauf allein mit seinem Wort. Die Humanität verblutet in der Sprache. Das Chaos fällt aus dem Schrei. Die letzten drei Zeilen des Gedichtes sind eine irre Idylle.
Wolfgang Koeppen, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Zweiter Band, Insel Verlag, 1977
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