UM MITTERNACHT
nachts wenn die erde sich langsamer dreht
wachen mit einer anderen panik als der von zitaten
im schatten von aber-das-ist-eine andere-geschichte
das glauben denkt ohne schlußfolgerungen
von den gesetzen die haltbarsten sind
wahrscheinlich die ungeschriebenen
und es gibt arten von dummheit
derer man sich nicht lange zu schämen braucht
weil niemand alles weiß selbst die dummheiten nicht
das entschleierte märchen von der wahrscheinlichkeit
wurde ein wort mit sieben buchstaben
das hieß zukunft
der junge mond wurde eine chrysantheme aus messing
das gurgeln der tauben ein neues datum
der durst des fragens ein sonnenstand
es gibt brücken zwischen glück und unglück
die fragen im kalten wasser leuchten zurück
den anfang lernt man an ihren schatten entlang.
bei Urs Engeler und sein fünftes Buch insgesamt. Nach der Erkundung der Häuser im vorausgegangenen Band „herr heute“ sind die neuen Gedichte wieder größtenteils im Freien geschrieben. Gärten kommen darin vor, Vögel, Bäume und auch der Horizont, „denn nie ist rückwärts gewandt der horizont“.
Urs Engeler Editor, Ankündigung, 2000
SEHNSUCHT NACH WALDMEISTER
was einmal waldschaft war
jetzt ist es nur noch umfeld
grünliche mater, laub und lustlos
sandiger materialismus
vor moosbewachsenen breiten
im tal der längenminusgrade
grundstückpreis
statt hoch zu preisende bäume
peitschenwind und dauerregen
statt dass sich holde düfte regen
der boden aufgerissen
wie ein maul am schotterweg
und aller steinchen angebissen
wie von karies faul
pure verschwendung hier atemholen
das fromme mädchen ausschicken
es wartet ihr weder wolf
noch irgendwie eine gewalt
zur belohnung
das schiere nichts bis
weit hinterm horizont
und eine leere
die alles übersonnt
(Aus: nachtwächters nachtgesänge ohne länge)
Peter Wawerzinek
Hans Thill: Wolfgang Schlenker Stelen
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