IM RATTERN DES ZUGS
Wird nichts aus dem Leben mehr ranken,
noch ein Jahr, noch zweie, noch x?
Schwarze Schwäne meiner Gedanken
gleiten weichselwärts nach dem Styx…
Alexander Lernet-Holenia
„Lesen ist ebenso nützlich wie reizend. Wenn ich lese, bin ich ein harmloser, stiller, netter Mensch und begehe keine Torheiten. Eifrige Leser sind sozusagen ein stillvergnügtes Völkchen. Wer liest, der ist weit davon entfernt, böse Pläne zu schmieden.“ Mit Robert Walser möchte ich Sie – nicht nur in seinem Sinne – ermuntern, von diesen Lyrikinformationen reichlich Gebrauch zu machen. Wer möchte schon freiwillig Torheiten begehen? Dann doch lieber freiwillig lesen: etwa die wenigen, aber hochkarätigen Lyrikbücher aus dem Wiener Zsolnay Verlag, der ja in erster Linie als Verlag für Prosa bekannt ist (z.B. über 800.000 verkaufte Exemplare von einem Kriminalroman Henning Mankells), in dem aber die Gedichte von Franz Wurm erscheinen – Dirzulande (1990) – und der das gesamte lyrische Werk des exzellenten Reimers und sinnlichen Melancholikers Theodor Kramer (1897–1958) betreut, dessen ausgewählte Gedichte Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan 1999 erschienen. Eines weiteren in Vergessenheit geratenen Lyrikers – Alexander Lernet-Holenia (1897–1976) – wird mit dem Auswahlband Fragmente aus verlorenen Sommern (2001) gedacht.
Theodor Kramer
ZU SPÄT
Schlaff überm Hänger dreht sich mein Gewand;
ich bin schon lang zu schreiben nichts imstand.
Benommen in den Ohren rauscht das Blut;
mein kranker Körper ist zu nichts mehr gut.
In Mappen liegt verzettelt, was ich schrieb;
ich hätt es gern geordnet und gesiebt.
Es tröpfeln Briefe nun von nah und fern;
es scheint, man läse, was ich schrieb, nun gern.
Mein Hut am Haken hin und her sich dreht;
ich setz ihn nie mehr auf, es ist zu spät.
Erschienen in: Theo Breuer – Aus dem Hinterland, Edition YE, 2005
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